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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Hitchens
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uns über die Straße wankte. Der Mann erlitt schwerste Verletzungen, und da es sich zudem um ein Sinhala-Dorf handelte, war die Menschenmenge, die sofort zusammenströmte, den tamilischen Eindringlingen alles andere als wohlgesonnen. Ich konnte die brenzlige Situation entschärfen, weil ich als Engländer einen vergilbten Graham-Greene-Anzug trug und einen von der London Metropolitan Police ausgestellten Presseausweis bei mir hatte. Dieser machte hinreichenden Eindruck auf den Dorfpolizisten, der uns daraufhin erst einmal ziehen ließ. Meine Begleiter, die das Schlimmste befürchtet hatten, waren überaus dankbar, dass ich bei ihnen war und so schnell reden konnte. Sie riefen sogar im Hauptquartier ihrer Sekte an, um zu verkünden, dass Sai Baba höchstselbst bei ihnen gewesen sei, in Gestalt meiner eigenen Person nämlich. Von da an behandelten sie mich mit großer Ehrfurcht, nahmen mir sämtliche Arbeiten ab und kümmerten sich um meine Verpflegung. Indessen hielt ich es für angebracht, mich nach dem Mann zu erkundigen, den wir überfahren hatten. Er war im Krankenhaus seinen Verletzungen erlegen. Ob ihm sein Tageshoroskop das vorausgesagt hatte? Damals erfuhr ich im Kleinen, dass ein menschliches Säugetier – ich selbst – völlig unvermutet Ehrfurcht und Erstaunen auslösen kann, während ein anderes – unser glückloses Opfer – keinerlei Rolle spielt in den gütigen Plänen des Sai Baba.
    »Ohne Gottes Gnade«, sagte John Bradford im 16. Jahrhundert im Angesichte armer Kreaturen, die zur Hinrichtung geführt wurden, »würde ich da gehen.« Diese scheinbar mitleidige Aussage bedeutet in Wahrheit – nicht, dass sie wirklich etwas »bedeutete« – »Dank Gottes Gnade geht da jemand anders«. Als ich mit diesem Kapitel begann, ereignete sich in einem Kohlebergwerk in West Virginia ein Grubenunglück. Zwölf Bergleute wurden unter Tage eingeschlossen. Einen spannungsgeladenen Tag lang fesselte das Unglück die Nation, bis unter großer Erleichterung bekannt gegeben wurde, dass man die Männer sicher und gesund geortet hätte. Die frohe Kunde erwies sich allerdings als voreilig, was den Familien, die bereits gefeiert und Dankesgebete gesprochen hatten, unglaubliche zusätzliche Qualen bereitete. Nun mussten sie erfahren, dass ihre Angehörigen unter Tage erstickt waren. Die Zeitungen und Sender, die mit der guten Nachricht vorgeprescht waren, hatten sich schrecklich blamiert. Erraten Sie, wie die Schlagzeile in diesen Zeitungen gelautet hatte? Natürlich. »Ein Wunder!«, hieß es allenthalben, mit oder ohne Ausrufezeichen. Diese Worte hatten schwarz auf weiß und in der Erinnerung Bestand und verschlimmerten das Leid der Angehörigen weiter. Ein Wort für das Ausbleiben der göttlichen Intervention in diesem Falle gibt es offenbar nicht. Positive Ereignisse als Wunder zu klassifizieren und die Verantwortung für negative anderen Kräften anzulasten, ist allgemein üblich. In England ist die Königin oder der König kraft Geburt Oberhaupt sowohl der Kirche als auch des Staates. Der englische Sozialreformer und Journalist William Cobbett wies Anfang des 19. Jahrhunderts darauf hin, dass die Engländer ihre irrwitzige Unterwürfigkeit zementierten, indem sie zwar von der »Royal Mint«, der königlichen Münzanstalt sprachen, die Staatsverschuldung aber als »national debt« bezeichneten. Die Kirche spielt uns vor unseren Augen den gleichen Streich. Bei meinem ersten Besuch der Wallfahrtskirche Sacré-Coeur auf dem Pariser Montmartre, die anlässlich der Befreiung der Stadt von den Preußen und der Commune 1870 bis 1871 erbaut worden war, fiel mir eine Bronzetafel auf, die den Bombenhagel im Jahr 1944 abbildete: Das Muster zeigte, dass die Kirche verschont und die Nachbarschaft getroffen worden war.
    Angesichts dieses überwältigenden Hangs zur Dummheit und zum Egoismus, der meine Spezies und mich kennzeichnet, ist es geradezu verwunderlich, dass überhaupt noch hin und wieder das Licht der Vernunft durchschimmert. Der geniale Schiller irrte sich, als er in seiner Jungfrau von Orleans sagte: »Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens.« Nein, mithilfe der Götter blasen wir unsere Dummheit und Leichtgläubigkeit bis ins Unkenntliche auf.
    Die Argumente für das Wirken eines Schöpfers in der Natur, eines »Intelligent Design«, die ebenfalls diesem Solipsismus entspringen, beziehen sich auf den Makro- wie den Mikrokosmos. Vorgestellt wurden sie von William Paley (1743-1805) in seinem berühmten

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