Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
auch für Ereignisse, bei denen das angebliche Außerkraftsetzen der Naturgesetze den Menschen nicht zur Freude oder zum Trost gereicht. Naturkatastrophen sind nicht widernatürlich, sondern Bestandteil der Schwankungen, die in der Natur zwangsläufig auftreten. Dennoch werden sie seit jeher dazu herangezogen, den Leichtgläubigen Gottes Missbilligung in ihrem ganzen Ausmaß vor Augen zu halten. Wenn irgendwo in Kleinasien, wo Erdbeben bis heute an der Tagesordnung sind, ein Götzentempel in sich zusammenstürzte, mobilisierten die frühen Christen jedes Mal die Massen und drängten die Menschen, zum Christentum überzutreten, solange es noch ging. Der gewaltige Vulkanausbruch, bei dem Ende des 19. Jahrhunderts die Insel Krakatau explodierte, bescherte dem Islam einen enormen Zulauf vonseiten der verängstigten Bevölkerung Indonesiens. In allen heiligen Schriften finden sich dramatische Berichte über Fluten, Wirbelstürme, Blitze und andere Omen. Nach dem schrecklichen Tsunami 2005 in Asien und der Überschwemmung von New Orleans 2006 begaben sich auch reflektierte und gebildete Menschen wie der Erzbischof von Canterbury auf das Niveau primitiver Tölpel und zerbrachen sich öffentlich darüber den Kopf, inwieweit das Ereignis als Willensbekundung Gottes zu interpretieren sei. Wenn wir von der simplen und durch gesichertes Wissen abgestützten Feststellung ausgehen, dass wir auf einem abkühlenden Planeten leben, der neben einem geschmolzenen Erdkern auch Verwerfungen und Spalten in der Erdkruste sowie ein turbulentes Wettersystem hat, ist diese Furcht aber schlicht hinfällig. Für alle diese Phänomene gibt es bereits eine Erklärung. Mir ist schleierhaft, warum die Vertreter der Religionen das so ungern zugeben, würde es sie doch von der nicht zu beantwortenden Frage entheben, warum Gott so viel Leid zulässt. Doch das ist offenbar der Preis für das Festhalten am Mythos von der göttlichen Intervention.
Die Unterstellung, bei einem Unglück könne es sich auch um eine Bestrafung handeln, ist aber auch deshalb nützlich, weil sie Spekulationen Tür und Tor öffnet. Die Katastrophe von New Orleans war auf zwei Ursachen zurückzuführen: Erstens war die Stadt unterhalb des Meeresspiegels erbaut worden, und zweitens ließ die Regierung Bush sie im Stich. Nach der Überschwemmung erfuhr ich aber von einem hochrangigen israelischen Rabbiner, sie sei die Rache Gottes für die Evakuierung jüdischer Siedler aus dem Gazastreifen. Der Bürgermeister von New Orleans – dessen Arbeit sich nicht gerade durch Professionalität auszeichnete – sprach von einem Gottesurteil zur Irakinvasion. Jedem steht es frei, seine Lieblingssünden aufzuzählen. Den Fernsehpfarrern Pat Robertson und Jerry Falwell zufolge war für die Opferung des World Trade Center die Kapitulation der USA vor der Homosexualität und der Abtreibung verantwortlich. In Ägypten ging übrigens der Glaube, an Erdbeben sei die Sodomie schuld, eine Interpretation, die gewiss mit besonderer Emphase zu hören sein wird, wenn unter dem Gomorrha von San Francisco der San-Andreas-Graben das nächste Mal erbebt. Als sich am Ground Zero der Staub legte, war zu erkennen, dass zwei demolierte Stahlträger in der Form eines Kreuzes stehen geblieben waren, was allenthalben großes Erstaunen auslöste. Da aber die Architektur seit Urzeiten nicht ohne Querträger auskommt, wäre es eher ungewöhnlich gewesen, wenn kein solches Gebilde entstanden wäre. Zugegeben, es hätte mich schon überrascht, wenn die Trümmer einen Davidsstern gebildet hätten oder einen Halbmond, doch ein solches Phänomen ist nirgends bekundet, nicht einmal dort, wo es großen Eindruck auf die Einheimischen gemacht hätte. Und vergessen wir nicht, dass Wunder auf Geheiß eines Wesens geschehen, das als allmächtig, allwissend und allgegenwärtig gilt. Müsste uns das nicht auf erheblich großartigere Erscheinungen hoffen lassen?
Die »Beweise« für den Glauben ergeben somit ein noch schwächeres Bild, als wenn er allein und ungestützt für sich stünde. Was ohne Beweise behauptet werden kann, lässt sich auch ohne Beweise verwerfen. Das gilt erst recht, wenn die gelieferten Beweise so dürftig und eigennützig sind.
Das schwächste aller Argumente ist der Autoritätsverweis (Argumentum ad verecundiam). Das gilt, wenn er aus zweiter oder dritter Hand kommt – »In der Bibel steht« –, und erst recht aus erster Hand. Das wissen nicht nur all die Kinder, die von einem Elternteil zu hören
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