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Der Herr vom Rabengipfel

Der Herr vom Rabengipfel

Titel: Der Herr vom Rabengipfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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gehalten haben? Ihr Haar, rot wie ein Sonnenuntergang im Frühherbst, kringelte sich in zerzausten Locken um ihr Gesicht. Sie hatte ein hohlwangiges, aber hübsches Gesicht. Er fürchtete immer noch, sie könnte sterben. Weniger an den Folgen der Peitschenhiebe als an der Auszehrung.
    Nachdem er ihr den Rücken gesäubert hatte, zog er ihr Rorans Kittel an. Sie schlief wieder ein, er übergab sie Cleves Obhut und setzte sich ans Ruder. Taby saß auf Olegs Schoß. In seinen Augen war immer noch Angst zu lesen, aber nicht mehr das Entsetzen wie am Tag zuvor. Dennoch verspürte Merrik den Drang, das Kind in die Arme zu schließen und es zu beschützen. Mit einem wehmütigen Lächeln sagte er zu dem Kleinen: »Deine Schwester schläft wieder. Sie hat kaum noch Fieber.«
    Hoffentlich sagte er die Wahrheit. Mehr konnte er nicht für sie tun. Er nickte dem Kind aufmunternd zu und legte sich wieder ins Ruder. Der Tag blieb ruhig und heiß. Es kam kaum eine Brise auf, um die Männer abzukühlen. Am späten Nachmittag ließen sie das Boot dicht am Ufer treiben, um sich auszuruhen und das Bierfaß zu öffnen, das Roran an einer Schnur aus dem Wasser zog, wo es zum Kühlen gehangen hatte. Stille lag über der Landschaft, nur die Wellen klatschten leise an den Bootsrumpf. Tschernigow lag bereits ein gutes Stück hinter ihnen. Sie näherten sich Gnezdowo und Smolensk. Bis Sonnenuntergang hofften sie auch diese Städte hinter sich gelassen zu haben. Am nächsten Morgen würden sie das Langboot ans Ufer ziehen und es über Land zum Fluß Dvina tragen. Der Transport dürfte nicht allzu schwierig sein, da der Weg über flaches Gelände führte und im Lauf der Jahre von ungezählten Männerfüßen ausgetreten war. Im übrigen hatten die Wikinger in den vergangenen Jahren die meisten wilden Stämme, die Handelsschiffe überfielen, ausgerottet oder sie als Sklaven nach Norwegen verschleppt. Sollten noch ein paar Wilde in der Gegend hausen, hatte Merrik nicht die Absicht, sie auf sich aufmerksam zu machen. Er wollte keinen Ärger.
    Als das Mädchen wieder aufwachte und herzhaft gähnte, war Merriks Gesicht dicht über ihr. Lächelnd steckte er ihr etwas Brot in den Mund. Sie kaute schweigend, dann öffnete sie den Mund wieder. Er fütterte sie, bis sie den Kopf schüttelte. Er gab ihr kühles Bier zu trinken. Dann sagte sie: »Ich möchte an Land gehen.«
    Er starrte sie verblüfft an. »Was?«
    »Ich möchte an Land gehen.«
    »Das ist nicht möglich. Dort lauert Gefahr. Wir rudern noch etwa drei Stunden, dann gehen wir an Land und schlagen das Nachtlager auf.«
    »Du bist ein Feigling.«
    Er schüttelte den Kopf. »Wärst du ein Bursche, würde ich dir jetzt eine Ohrfeige geben. Du vergißt, daß ich dir das Leben gerettet habe.«
    Sie zuckte zusammen. Er wußte nicht, ob vor Schmerz oder weil er ihr in Erinnerung gerufen hatte, was sie ihm verdankte.
    Sie blickte ihm direkt ins Gesicht: »Ich muß mich erleichtern.«
    Völlig selbstverständlich entgegnete er: »Du hast gesehen, wie die Männer sich erleichtern. Als Frau hast du es etwas schwieriger. Ich stelle mich vor dich, um den Männern die Sicht zu versperren. Mußt du jetzt?«
    Sie nickte.
    Als sie fertig war, half er ihr, sich neben ihn zu setzen. »Das war doch nicht so schlimm, oder?«
    »Schlimm genug«, sagte sie, ohne ihn anzusehen. »Es war immer schlimm. Zu Anfang war es ganz besonders scheußlich und demütigend. Doch dann stellte ich fest, daß keiner zusah. Nur ein paar Wachleute hatten es darauf abgesehen, Sklaven zu beschämen. Die sahen zu und lachten. Als ich ein Junge wurde, war es besonders schwierig.« Sie seufzte, dann grinste sie. »Aber ich habe die Burschen ganz gut nachgemacht. Ich drehte den anderen den Rücken zu und winkelte meine Arme an, und alle hielten mich für einen Jungen, der Wasser läßt. Damit habe ich jeden Verdacht zerstreut.«
    »Wie lange warst du in der Sklaverei, bevor du dich in einen Burschen verwandelt hast?
    »Nicht lange. Es war zu gefährlich. Ich wollte nicht vergewaltigt werden. Als Junge fühlte ich mich viel sicherer.«
    »Nicht in Kiew oder weiter im Süden«, sagte er.
    »Dann hatte ich Glück, nicht weiter in den Süden verschleppt worden zu sein«, sagte sie kühl, und er wußte nicht, ob sie sie Wahrheit sagte.
    »Wenn ich dich je demütigen will, so tue ich es nicht auf diese Weise. Ich habe dich beschützt, so gut es ging, mehr konnte ich nicht tun.«
    »Ich weiß.«
    »Wie fühlst du dich?«
    »Viel besser.«
    Dabei

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