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Der Herr vom Rabengipfel

Der Herr vom Rabengipfel

Titel: Der Herr vom Rabengipfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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still. Man hörte nur das Schnarchen der Männer und das leise Stöhnen und Kichern vereinzelter Paare, die sich vor dem Einschlafen miteinander vergnügten.
    Er verließ die Kammer ein zweites Mal. Laren rührte sich nicht und hielt den Blick unverwandt auf das Bärenfell vor dem Eingang gerichtet. Er kam mit einer Schale zurück. »Salbe für deinen Rücken und dein Bein. Zieh dich aus.«
    Sie rührte sich nicht. »Warum hast du mich geküßt?«
    »Um meinem Bruder zu zeigen, daß du mir gehörst.«
    »Aber alle haben zugesehen.«
    Gleichgültig hob er die Schultern. »Na und? Jetzt bleiben dir auch die Männer meines Bruders vom Leib. Zieh dich aus. Ich bin müde und will schlafen.«
    Sie schämte sich, sich vor ihm auszuziehen, denn sie wollte ihm den Anblick ihres mageren Körpers ersparen. Bisher hatte sie sich nicht viel dabei gedacht, doch plötzlich war es ihr unangenehm. Andererseits war sie ihm völlig gleichgültig. Er kümmerte sich nur um Taby. An ihr lag ihm nichts.
    Dabei sehnte sie sich danach, noch einmal von ihm geküßt zu werden. Aber er würde sie nicht küssen, weil er sie nicht begehrte. Nein, er war nicht für sie bestimmt. Sie hatte niemanden auf der Welt, nur ihren kleinen Bruder.
    Und mit einem Mal wallte wieder das ganze Leid der letzten zwei Jahre in ihr hoch, die tiefe Hoffnungslosigkeit, der Zorn, der ihre Eingeweide zerfraß, das alles überwältigte sie. Und plötzlich wurde ihr Körper von quälendem Schluchzen geschüttelt. Sie barg ihr Gesicht in den Händen, haßte die häßlichen Laute, die aus ihr herausbrachen, und mit denen sie ihm ihre Schwäche zeigte, doch die Flut ihrer Seelenpein war nicht aufzuhalten. Verzweifelt rang sie nach Fassung, haßte sich dafür, ihm dieses Bild des Jammers zu bieten, doch ihr Schluchzen wurde nur noch herzzerreißender.
    Merrik blickte hilflos auf sie herunter. Sein erster Gedanke war, Erik habe sie erschreckt. Doch sie war kein verängstigtes Frauenzimmer. Nein, sie war eine Kämpfernatur. Eriks Begierde vermochte nicht, diese Reaktion in ihr auszulösen.
    Er stellte die Salbe beiseite, setzte sich zu ihr und schloß sie wortlos in die Arme. Seine großen Hände wollten ihren Rücken streicheln, doch dann erinnerte er sich an die Peitschenstriemen. Er strich ihr übers Haar, wiegte sie in den Armen und redete leise mit tröstlichen, kleinen Worten auf sie ein — ganz so, wie er auch Taby im Arm hielt und tröstete.
    Sie bewegte sich, und er spürte ihre Brüste.
    Sie war kein Kind, und er kam sich wie ein Narr vor. Völlig unerwartet durchflutete ihn eine Welle des Verlangens, die er aber rasch eindämmte. Sie war Tabys Schwester. Er hatte nur zu lange keine Frau gehabt.
    Unwillkürlich küßte er ihre Schläfe, ihr weiches Haar kitzelte seine Wange und seine Nase.
    »Es ist alles gut«, raunte er mit vor Verlangen belegter Stimme. »Ich tu' dir nicht weh.«
    Sie verschluckte sich an ihren Tränen und wurde von einem Schluckauf geschüttelt. Mit der flachen Hand unter ihrem Kinn hob er ihr tränennasses Gesicht. Ihre Augen und ihre Nase waren gerötet, die Zöpfe hatten sich gelöst und die Haarsträhnen hingen ihr ins Gesicht. Sie sah etwa so verlockend aus wie ein ausgenommener Hering. Und doch war sie für ihn die schönste Frau der Welt.
    Er begehrte sie.
    Er vergaß Taby, und er vergaß, daß sie Tabys Schwester war. Er beugte sich vor und küßte sie — ein zweites Mal. Er schmeckte ihre salzigen Tränen und noch etwas, etwas Süßes, Dunkles und Geheimnisvolles, das ihn mit magischer Kraft zu ihr hinzog, als sein Mund den ihren berührte, sein Körper sich an den ihren drängte. Nach diesem Unbekannten verspürte er eine heiße Sehnsucht.
    Sie bewegte sich nicht. Und seine Begierde wuchs. Er küßte sie wieder, fordernd diesmal, damit sie ihm ihre Lippen öffnete. Erst jetzt wurde ihm klar, daß sie nicht wußte, wie sie sich verhalten sollte. Und er erschrak. Sie war unschuldig und hatte keine Ahnung, wie sie ihn küssen sollte. Er wollte schon etwas sagen und sie sanft von sich schieben, da näherte sich ihr Gesicht, ihre Hand berührte seine Wange, und sie küßte ihn. Sie drückte ihre weichen, geschlossenen Lippen fest auf seinen Mund. Dennoch war es ein Kuß, den sie ihm anbot — der Kuß einer Jungfrau.
    Leicht öffnete er den Mund, und seine Zungenspitze tastete in ihren Mund. Sie zuckte ein wenig zurück, doch zu seinem Erstaunen und seinem Glück schmiegte sie sich enger an ihn, und diesmal waren ihre Lippen leicht

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