Der Herr vom Rabengipfel
wie vor zwei Jahren. Die Zeit hat Euch nichts anhaben können, Mylord. Ihr habt keine grauen Haare wie Weland. Und ich bin froh, daß Ihr nicht noch ein Stück größer geworden seid.«
Er stellte sie wieder auf den Boden, hielt ihre Hand, schob sie ein wenig von sich und konnte sich nicht an ihr satt sehen. »Du bist es wirklich. Aber du hast dich sehr verändert.«
»Ja, das stimmt.«
Sein Blick verfinsterte sich. Er dachte an Taby und fürchtete, von ihr zu hören, daß er gestorben sei. Sie bemerkte seine Betrübnis und beeilte sich zu erklären: »Mylord, Taby ist wohlauf und gesund und in Sicherheit.«
Rollo hob den Blick zum Himmel. »Den Göttern sei Dank! Ich werde unseren Göttern und dem Christengott ein Dankesopfer bringen. Wir haben das ganze Reich nach dir und Taby durchkämmen lassen. Dein Vetter Wilhelm durchstreifte mit seinen Soldaten das Land bis Paris, ohne eine Spur von dir zu finden. Erzähle Laren, wie ist es dir ergangen?«
»Das werde ich, Mylord. Doch zuerst möchte ich Euch den Mann vorstellen, der Taby und mir das Leben gerettet hat, den Mann, der nun mein Gemahl ist. Er ist Herr auf Malverne, einem großen Gehöft in Vestfold. Sein Name ist Merrik Haraldsson.«
Weland forderte den Wikinger auf: »Tretet vor seine Exzellenz den Herzog, Merrik.«
Merrik trat langsam an den mächtigen Rollo heran, von dem er die wildesten Geschichten gehört hatte. Nun war er mit diesem Mann verwandt. Ein Mann, dessen Beine so lang waren, daß sein Pferd mindestens siebzehn Handbreit hoch sein mußte, damit Rollos Füße nicht auf der Erde schleiften. Es hieß, daß er meist zu Fuß ging und seine berittenen Soldaten noch um Haupteslänge überragte. Dieses Bild hätte Merrik gerne gesehen. Er war eine wahrhaft königliche Erscheinung, auch wenn die Jahre schon graue Strähnen durch sein dunkles Haar gezogen hatten, und Falten seine Stirn und Wangen zeichneten. Doch seine nachtschwarzen Augen sprühten vor Lebenskraft und Klugheit und, wie Merrik mit einigem Erstaunen feststellte, vor Humor.
»Mylord«, grüßte er und blieb vor Rollo stehen, ohne sich zu verbeugen. Das war nicht Wikinger Art.
»Ihr habt Laren und Taby das Leben gerettet.«
»Ja. Ich fand beide in Kiew auf dem Sklavenmarkt des Khagan-Rus.«
»Auf dem Sklavenmarkt!«
Laren legte die Hand beschwichtigend auf den reich bestickten Ärmel ihres Onkels. »Das ist eine lange Geschichte, Mylord. Um es kurz zu machen: Taby und ich wurden entführt und als Sklaven in den Süden verkauft. Seither haben wir in der Sklaverei gelebt.«
Rollo starrte sie fassungslos an.
»Ich schicke die Wachen fort, Mylord«, sagte Weland in die lastende Stille. »Laren will, daß vorerst niemand außer Euch und mir von ihrer Rückkehr weiß — und Otta, natürlich. Außerdem ist auch noch Haakon eingeweiht. Er versorgt Merriks Männer und sagt der Dienerschaft, daß Gäste aus Norwegen angekommen sind, mehr nicht. Überall lauert Verrat, Mylord. Wir müssen entsprechende Vorkehrungen treffen, bevor bekannt wird, daß Laren zu uns zurückgekehrt und Prinz Taby am Leben ist.«
Rollo fragte schließlich: »Wo ist Taby?«
Merrik antwortete: »Er ist auf meinem Gehöft Malverne, eine halbe Tagesreise landeinwärts hinter Kaupang. Er ist gut umsorgt und bewacht.«
»Werdet Ihr Taby zurückbringen, sobald wir wissen, wer die beiden entführt und als Sklaven verkauft hat?«
»Ja, Mylord. Aber nicht vorher. Ich liebe das Kind. Ich werde nicht zulassen, daß ihm noch einmal Leid zugefügt wird. Sire, außer Euch und Weland darf niemand erfahren, daß Taby am Leben ist.«
»Ihr habt recht, Merrik. Dennoch muß er zu mir zurückgebracht werden, denn mein einziger Sohn Wilhelm hat immer noch keinen männlichen Erben. Taby ist wichtig für mich und für den Fortbestand des Reiches.«
»Das ist der einzige Grund, warum ich hier bin, Sire.«
Rollo musterte den Wikinger genauer. »Ihr seid Larens Gemahl. Habt Ihr den Wunsch, sie zu heiraten geäußert, bevor oder nachdem sie Euch eröffnete, wer sie ist?«
Merrik nahm ihm die Frage nicht krumm. »Vorher, Sire. An einer Prinzessin von Danelagh lag mir nichts. Jetzt gehört sie mir und ist Herrin auf Malverne.«
Rollo betrachtete den Mann, der seine Nichte und Taby gerettet hatte, forschend. Dafür war er dem Mann zu großem Dank verpflichtet. Ebenso sein Sohn Wilhelm, denn auch Wilhelm wußte, wie wichtig es war, die männliche Linie eines Herrschergeschlechts fortzusetzen. Dieser Merrik Haraldsson machte einen
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