Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Herzausreißer

Der Herzausreißer

Titel: Der Herzausreißer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Vian
Vom Netzwerk:
niemand weiß. Und wenn ein Gewitter losbricht. Blitz und Donner. Ich weiß nicht, es könnten auch diese Ionisationsphänomene auftreten, von denen in letzter Zeit so viel die Rede ist, der Name allein ist ja schon schlimm genug, erinnert einen immer an Inanition, dementsprechend fürchterlich wird es auch sein. Passieren kann noch allerhand anderes. Wenn sie aber aus dem Garten hinausgingen, wäre es natürlich noch viel schlimmer. Daran wollen wir im Augenblick gar nicht denken. Die haben erst mal genug zu tun, wenn sie alle Möglichkeiten des Gartens ausschöpfen wollen. Aber wenn sie dann einmal größer werden, du liebe Zeit ...! Ja, das sind die zwei Dinge, die mich am meisten schrecken: dass sie größer werden und dass sie sich aus dem Garten entfernen. Gegen wie viele Gefahren man da Vorkehrungen wird treffen müssen! Nun, es ist wahr, als Mutter muß man gegen alles gerüstet sein. Aber lassen wir das. Darüber werde ich mir später noch den Kopf zerbrechen; zwei Dinge aber gehen mir nicht aus dem Kopf: das Größerwerden und das Fortgehen. Aber im Augenblick will ich mich auf den Garten beschränken. Nur auf den Garten allein, die Zahl der Unfälle ist ja enorm. Ach ja, richtig, der Kies auf den Alleen. Wie oft hab ich nicht schon gesagt, dass es unsinnig ist, die Kinder mit dem Kies spielen zu lassen. Wenn sie ihn schlucken? Das kann man gar nicht sofort bemerken. Und drei Tage später setzt es dann eine Blinddarmentzündung. Dann muß schnellstens operiert werden. Und wer soll das machen? Jacquemort? Der ist kein Arzt. Der Dorfarzt vielleicht? Da gibt es nur einen Tierarzt. Sie würden ganz einfach sterben. Nachdem sie Qualen erlitten hätten. Das Fieber. Ihr Wehgeschrei. Nun, schreien würden sie nicht, aber stöhnen, das wäre noch viel schrecklicher. Und kein Eis. Unmöglich, Eis aufzutreiben, um es ihnen auf den Bauch zu legen. Die Temperatur würde steigen und steigen, die Quecksilbersäule würde den Höchstwert übersteigen. Dann platzt das Thermometer. Und ein Glassplitter zerschneidet Joël das Auge, während er mit ansieht, wie Citroën leidet. Er blutet. Er wird das Auge verlieren. Kein Mensch kann ihn verarzten. Alles muß sich um Citroën kümmern, der immer leiser stöhnt. Den allgemeinen Aufruhr ausnutzend, schleicht Noël sich in die Küche. Ein Topf heißes Wasser auf dem Herd. Er hat Hunger. Man hat ihm sein Vesperbrot nicht gegeben, natürlich, wegen der beiden kranken Brüder hat man das einfach vergessen. Er steigt auf den Stuhl vor dem Herd. Um den Marmeladentopf herunterzuholen. Das Dienstmädchen aber hat ihn etwas weiter nach hinten gestellt als gewöhnlich, weil ihr ein Staubkorn ins Auge geraten ist. Das käme nicht vor, wenn sie etwas gründlicher zusammenfegte. Er beugt sich vor. Er rutscht aus. Er fällt in den Topf. Er hat gerade noch Zeit, einen Schrei auszustoßen, einen einzigen, dann ist er tot, aber er zappelt noch mechanisch wie die Krabben, wenn man sie lebendig ins kochende Wasser wirft. Er wird rot wie eine Krabbe. Er ist tot. Noël!«
    Clémentine stürzte auf die Tür zu. Sie rief nach dem Dienstmädchen.
    »Ja Madame.«
    »Ich verbiete Ihnen hiermit, Krabben zum Mittagessen zu servieren.«
    »Aber es gibt gar keine, Madame. Es gibt Roastbeef und Bratkartoffeln.«
    »Ich verbiete es Ihnen trotzdem.«
    »Ist recht, Madame.«
    »Und machen Sie nie mehr Krabben. Auch keinen Hummer, noch Krebse, noch Langusten.«
    »Gut, Madame.«
    Sie ging in ihr Zimmer zurück. »Wäre es vielleicht nicht gar besser, alles kochen zu lassen, während sie schlafen, und alles nur kalt zu essen? Damit es niemals Feuer gäbe, wenn sie wach und aufgestanden wären? Versteht sich, dass die Zündhölzer sorgsam unter Verschluss gehalten würden. Das geschieht bereits. Das abgekochte Wasser, das sie immer trinken, könnte man ja am Abend aufsetzen, wenn sie schon im Bett sind. Glücklicherweise war sie auf das Abkochen des Wassers gekommen. Die Mikroben verlieren ihre Virulenz, wenn sie erst einmal gut durchgekocht sind. So weit, so gut, aber was war mit all dem, was sie sich so in den Mund stecken, wenn sie im Garten spielen. Dieser Garten! Man dürfte sie eigentlich gar nicht mehr in den Garten gehen lassen. Der ist ja auch nicht gesünder als ein sauberes Zimmer. Ein wirklich sauberes, täglich gescheuertes Zimmer ist fraglos besser als jeder Garten. Sicher, auf den Bodenfliesen können sie sich erkälten. Aber im Garten nicht weniger. Dort gibt es genauso starke Zugluft. Und nasses

Weitere Kostenlose Bücher