Der Herzberuehrer
voneinander. Was sie jedoch verband war, dass sie sich kannten, einen vergleichbar angesehenen Stand innerhalb der Gesellschaft bekleideten, und dass sie es bis dahin als dankenswertes Privileg angesehen hatten, ihre Kinder auf ein Internat mit einer solch makellosen Reputation, wie sie das Collegio San Noicola besaß, schicken zu können.
So zumindest gaben es die Medien wieder. Der Fall des Enzo Vonario wurde dabei exemplarisch in den Vordergrund gestellt, da man in ihm den Kopf des sogenannten 'Sodom-Quartetts' ausgemacht haben wollte. Diese Vorverurteilung fand statt, noch bevor es überhaupt zum Prozess kam.
Ich legte die Zeitung beiseite, trank einen Schluck Wasser und dachte darüber nach, wie es jetzt wohl weitergehen würde. Ich entschied mich dafür, den Tag mit gezuckerten Apfelpfannkuchen zu beginnen...
21.
Anna lächelte etwas verlegen, während sie sich ihren breitkrempigen Strohhut tiefer in die Stirn schob. Sonnenlicht tanzte über den Waldboden. Es war diese spezielle Zeit im Frühjahr.
»Doch, ja! Du warst ein guter, großer Bruder für mich!«, antwortete sie auf meine Frage.
»Obwohl ich einfach weggegangen bin?«
Sie nickte bedächtig, streckte ihre schlanken Beine aus und fuhr mit den bloßen Füßen durch das weiche Laub. Die Spuren des Winters waren noch nicht ganz getilgt, doch die Vegetation befand sich unaufhaltsam auf dem Vormarsch, nährte sich von den zerfallenen Blättern des vergangenen Jahres. Ein Duftgemisch aus betörenden Blüten und sanftem Moder irritierte die Sinne. Schwere, opulente Aromen...
Anna und ich saßen an einem meiner Lieblingsplätze, auf dem Stamm einer umgestürzten Esskastanie. Ein Ort, den ich einst mit Shiro zusammen entdeckt hatte. Die Stelle war nicht besonders weit vom Haus entfernt, aber doch so abgeschieden und eingewachsen, dass ich mich unbeobachtet fühlen konnte.
»Wie ist es für dich, nicht mehr Zuhause zu leben?«, fragte ich etwas besorgt. Immerhin war ich dafür verantwortlich, dass sie nun, für ihre letzten zwei Schuljahre, in einem Internat leben musste. Aber sie lachte unbefangen, als sie mir antwortete. »Es ist genau richtig, Luca. Ich fühle mich wohl auf Ischia. Und die Schule ist gut, ich habe Freundinnen, und sogar...« Ihr Lächeln wurde breiter.
»Ja?«
»Na jaa...«
»Nun sag schon!«
»Kannst du's dir nicht denken?«, fragte sie etwas ertappt: Wieder einmal fiel mir auf, wie schnell ihr Themen unangenehm wurden, die sie ganz persönlich betrafen. Eine Eigenart, die unsere Mutter ihr mitgegeben haben musste. Ich lächelte, freute mich still über die vielleicht erste Liebe meiner 'kleinen' Schwester und ließ es auf sich beruhen.
»Fabio hat die Idee, dass wir uns heute Abend ein paar alte Folgen von amano l'abisso ansehen...«, wechselte ich das Thema. »Hast du Lust?«
Luis hatte mir auf seiner 'Isabella' irgendwann einmal überraschend Staffel eins bis sieben seiner Soap auf DVD in die Arme gedrückt. Höchst feierlich, mit persönlicher Widmung und einem Sechser-Satz 'Fan-Becher' obenauf, allesamt ausschließlich mit seinem Konterfei versehen. Tatsächlich trank ich manchmal meinen Caffè aus ihnen. Ich wusste, dass Anna Luis mochte. Aber vor allem: Sie liebte diese Schwachsinns Serie. Das stand außer Frage, nach der ersten Begegnung mit 'Dottore Castelli'.
»Und Fastfood dazu...«, platze es begeistert aus ihr heraus, was sie mit einem, »Nein! Natürlich nicht«, augenblicklich und todernst korrigierte.
»Wir haben eine Fritteuse...«, überlegte ich, »...also haben wir automatisch auch Fastfood!«
·
Einige Wochen waren inzwischen vergangen, bis zu diesem Moment auf dem Kastanienstamm.
Wochen, in denen sich die Kälte von meinem Berg ebenso verzogen hatte, wie viele der düsteren Bilder aus meinem Kopf. Beides hatte ich nach diesem langen Winter kaum für möglich gehalten.
Ich konnte meinen Spider wieder offen fahren. Ganz ähnlich verhielt es sich mit meinem Herzen.
Es war, als nehme das Leben nach einer langen, unruhigen Talfahrt endlich einen neuen, versöhnlicheren Weg, hin Richtung Licht und Wärme.
Bei der Arbeit zum Beispiel: Orlando hatte sich rundum erholt, vor allem Dank einer umfassenden Reha und natürlich durch Sandras liebevolle Pflege. Die beiden waren nun also wieder fester Bestandteil der Küchencrew. Dann war da Rosalinas zupackender Einsatz. Dieser, sowie ihr Tango, waren aus dem 'Luro' nicht mehr wegzudenken.
Entspannung pur also an der siebenköpfigen Herdfront.
Oder Fabio: Kurz
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