Der Herzberuehrer
das war, was er brauchte...
Sie mussten ihm fürchterliches angetan haben.
Und das, was davon als Ergebnis übrig geblieben war, hatte heute Gestalt vor meinem Auge angenommen.
Eine einzelne Facette davon...
·
Ich behielt alles für mich.
Zunächst war es mein Impuls gewesen, mit jemandem darüber zu sprechen, was hieß - dies mit Jack zu tun, aber ich merkte, dass ich das nicht konnte. Nicht mit ihm.
Doch sonst hatte ich keine Freunde, mit denen ich so vertraut war, als dass ich ihnen diese Erlebnisse schildern konnte. Und Renzo würde es nicht verstehen. Dazu waren wir uns wieder zu nahe. Er würde mich vielleicht verachten...
Der Einzige, der bestimmt verstanden hätte wovon ich sprach, der durfte niemals, wirklich niemals erfahren, dass ich wusste, was er wusste.
Also musste ich alleine damit klar kommen - erstmal.
Ich merkte nur sehr rasch, dass das nicht klappte.
Es fehlte jemand, der mir weiterhalf. Es gab einfach niemanden.
Doch dann, viel viel später tauchte eine Erinnerung in meinem Hinterkopf auf. Vage zu Beginn, aber dann immer konkreter: Jene Zeit, in der ich mein Auge verloren hatte. Eine sehr spezielle, in meiner Erinnerung unauslöschliche Zeit. Und es gab Parallelen zum jetzt! Denn damals war ich mir ebenfalls sicher gewesen, dass es niemanden geben konnte, der mir aus meiner Situation helfen würde.
So dachte ich damals zumindest. Niemanden!
Denn keiner in meinem Umfeld hatte sein Auge verloren, zu jener Zeit.
Aber das stimmte nicht. Es gab Hunderte, die das erlebt hatten, und dabei spielte es überhaupt keine Rolle, ob sie sich in der Nähe befanden oder nicht.
Das Internet!
Foren!
Es gab für alles Foren.
Also begann ich mich mit einer Schachtel Mentholzigaretten und einem Aschenbecher vor den Rechner zu setzen und meine Fragen zu stellen...
·
»...Darum würde ich dir gerne die Aufgabe übertragen, zunächst mal die Hechtfüllung für die Tordelli vorzubereiten.«
Ich nickte und nahm meinen Arbeitsbogen entgegen. Ein Hilfsmittel, das Chip von Anfang an eingeführt hatte. Es war zwar absolut unüblich, doch es funktionierte. An Tagen, wo man nicht ganz bei der Sache war, reichte ein Blick auf den Bogen, und schon befand man sich wieder im Prozess. Nicht übel. Von Chip konnte man wirklich eine Menge lernen.
Die Sache mit dem Hecht war simpel. Der fangfrische Fisch wurde filetiert, gehäutet, und im Anschluss in Stücke geschnitten. Dann vermengte man Eiweiß, etwas Panna, Meersalz, weißem Pfeffer, pürierte das Ganze zu einer Farce, strich diese durch ein Sieb und stellte sie kühl. Es ging darum, dem zarten Fisch nicht die Show zu stehlen. Daher blieben die Zutaten zur Füllung geschmacklich weitgehend neutral.
Ein Bett aus frischem, ganz kurz blanchiertem Spinat und eine Soße auf Sahne-Basis, die durch eine feine Spur Pernod bestach, komplettierten dann das fertige Gericht.
Ich richtete mir meinen Arbeitsplatz ein, holte den Fisch aus unserem begehbaren Kühlschrank um mit meiner Arbeit zu beginnen. Und mit dem Denken...
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Autoaggression nannte man das Problem, mit dem Daniele sich herumzuschlagen hatte. Selbstzerstörung...
Soweit hatte meine Recherche mich bislang gebracht. Selbstzerstörung in einer besonders ausgeprägten Form allerdings. Kein so seltenes Phänomen, wie ich erfahren konnte, doch außergewöhnlich in dieser heftigen Variante.
Und ungewöhnlich vor allem, weil er es nicht nur im Verborgenen tat. Er brauchte dafür Publikum. Ausgewähltes Publikum. Mich, in diesem Falle...
Sich schneiden - ritzen - wie es im Fachjargon hieß, war nichts über die Maßen auffälliges. Ebenso wenig, wie das Zufügen kleinerer Verbrennungen, das Wangen oder Zungenkauen, das - sich-selbst-schlagen.
Daniele hingegen erreichte diesbezüglich Dimensionen, bei dem sich meine Vorstellungskraft zu sperren begann, ganz gleich, ob er dabei feine Stahlnadeln, Elektrizität oder sehr dünnen Draht verwendete. Ganz gleich, ob er damit seine Fußgelenke, die Kuppen unter den Fingernägeln oder seine Genitalien traktierte...
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...Wichtig für die Fischfüllung war vor allem, dass alle Zutaten äußerst kalt zusammen kamen. Ich brachte sie immer bis fast an den Gefrierpunkt. In diesem Falle auch die Eier, die wir ansonsten bei Zimmertemperatur lagerten. Nur so erhielt man diesen unglaublich frischen, klaren Geschmack. Diese Reinheit. Wie ein Gebirgsbach...
In den Tordelli-Teig würde ich ein wenig Dill einarbeiten, gerade mal eine Ahnung davon, die nur so schwach
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