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Der Herzberuehrer

Der Herzberuehrer

Titel: Der Herzberuehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jobst Mahrenholz
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geradezu, und ich hatte die Erfahrung gemacht, dass es mich auch schützen konnte.
    Also das Rote!
    Das silbergraue T-Shirt, für das ich mich entschieden hatte, bestand aus einer High-Tech-Faser. Es besaß den Vorteil, dass man erstens, nicht in Schwitzen geriet und es sich, zweitens, absolut fantastisch anfühlte.
    Haptik spielte an diesem Abend eine besondere Rolle, da war ich sicher.
    Gerade in Anbetracht meines unkalkulierbaren Gegenübers.
    Daher entschied ich mich bei der Hose komplett anders. Verspielt, aufwändig, mit Nieten und Laschen. Ne Menge zum öffnen und entdecken, zum daran befestigen, wenn man wollte, in verwaschenem Anthrazit. Leicht und robust. Militärisch und doch soft.
    Figurbetonte knallrote Unterwäsche, augenkompatibel, schwarz-transparente Kautschuk-Flipflops, fertig!
    Als ich so vorm Spiegel stand, meinem zweifarbigen Blick begegnete und den Typ betrachtete, der mir da gegenüber stand, musste ich schlucken.
    Wie sehr hatte ich mich verändert. Äußerlichkeiten waren mir zunehmend wichtiger geworden. Woran lag ‘s?
    Jack? Fabio? All die anderen?
    Ich war auf dem freien Markt zu haben, so war das nun mal, und da griffen die allgemein üblichen Maßstäbe. Und die waren äußerlich in ihrer Prägung. Durch und durch.
    Ich war im Grunde ein stinknormaler Kerl auf der Suche...
    Nicht jedoch an diesem Abend.
    Und so hatte ich, als ich schließlich das Haus verließ, auch nicht das mir vertraute Kribbeln, diese leichte, erwartungsvolle Lust in mir, die mich sonst in jenen Momenten begleitete, wenn ich mich auf die Pirsch begab, sondern einen ziemlich flauen Magen und ein diffuses, ganz und gar diffuses Gefühl.
    ·
    Als ich vor unserer alten Wohnungstüre stand, verharrte ich zögernd. Es war wohl der hilflose Versuch, im letzten Moment noch meine durch und durch eigenartige Stimmung zu besiegen.
    Hinter dieser Tür befand sich meine erste, eigene Wohnung, ein ganz besonderer Ort. Und irgendwie erschien es mir plötzlich als Verrat, was ich hier tat. Das ganze Vorhaben.
    Nicht Verrat an einem Menschen, sondern an der Sache. An der Reinheit dieser Zimmer beispielsweise. Sofern es etwas wie Reinheit gab – dort.
    Schon der Gang durchs vertraute Treppenhaus in den vierten Stock berührte mich, und ich war froh, dass ich nicht der alten Alberici aus dem Parterre oder einem der anderen Bewohner des Hauses begegnete, die in meiner Erinnerung immer noch sehr präsent waren, mit ihrem 'Ciao' und 'schönen Tag noch'.
    Der bröckelnde Putz überall, die hunderte von Bananenaufklebern an der Türe der Poldis, der winzige rote Perserteppich der Cavallos - die hielten sich für was besseres - ja, und dann, auch unsere Tür, die eigenartigerweise in einem hellen Grün, und nicht wie die anderen, in Creme gestrichen war...
    Ich klopfte.
    Daniele öffnete.
    Und das Spiel begann...

5.

    Die Pianistin schien völlig versunken in ihrem Tun.
    Den Blick nach innen gekehrt, flogen und strichen ihre Hände über die Tasten, als sei sie in der Lage die Töne erfühlen zu können, die sie ihnen entlockte.
    Den Kopf in den Nacken gelegt, spielte sie. Das lange schwarze Haar einem Vorhang gleich, über ihren Rücken fallend.
    Mozart.
Ich kannte mich wirklich nicht aus, mit dieser Musik, aber was wir hier zu hören bekamen, berührte mich sehr.
    Es war so anders als die klassische Musik, die ich kannte, so viel liebevoller, als Shiros Wagner oder die Coccia-Cantaten, die meine Mutter früher trällerte, wenn es galt, monotone Arbeiten zu verrichten.
    Mozart war zart. Mo-zart halt. So unglaublich schön und rein.
    Laut Programmheft kam sie aus Argentinien, aus Lateinamerika, die Pianistin, da wo der Tango herkam, die Samba, der Salsa. Aber sie spielte Mozart, und das tat sie, als hätte sie nie etwas anderes getan.
    Wahrscheinlich war es so.
    Ich schloss die Augen und lehnte mich entspannt in meinen Theatersessel zurück.
    Dies könnte meine Musik werden, dachte ich so bei mir, denn ich fühlte mich mit ihr verbunden, ihr ganz nah, so als verstünde ich sie wirklich, wie eine eigene Sprache.
    Der ganze Konzertsaal war von ihr erfüllt, so wie ich selbst, und meine Fantasie, meine Vorstellungskraft ging auf Wanderschaft und ließ sich treiben...
    »Es gefällt dir...«. Daniele, perfekt ausstaffiert im grauem Anzug, mit schwarzer Krawatte und weißem Hemd, hatte sich zu mir gebeugt und lächelte wissend. Ich nickte und erwiderte sanft den Druck seiner schmalen Hand.
    »Es ist wunderschön...«, flüsterte ich

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