Der Herzberuehrer
nun, wie alle hier, Gast auf Rebeccas Hochzeit und das auf ihren ausdrücklichen Wunsch. Weiter erinnerte ich mich daran, dass er auch mit dabei war, als wir uns nach getanem Werk unseren Applaus abgeholt hatten.
Wo also steckte er. Ich ließ meinen Blick nochmals über die feiernden Köpfe wandern - ohne Erfolg.
Ich nahm noch einen tiefen Zug, löschte dann die Zigarette und ging wieder hinein, um nach ihm zu suchen. Aber wo immer ich mich auch umsah oder nachfragte, Fehlanzeige - kein Shiro.
Sorgen machen - war sicher zu hoch gegriffen, doch zumindest machte ich mir so meine Gedanken. Tief in mir erkannt ich, dass etwas nicht richtig war. Ich konnte zwar nicht genau sagen was, aber ich spürte es eben. Etwas nagte an mir, und ich wusste, es war wichtig Shiro zu finden, um die Gewissheit zu haben, dass alles in Ordnung mit ihm war. Soweit konnte ich mich auf meine Intuition verlassen.
Ich fand ihn schließlich in seinem Zimmer - und nichts war mit ihm in Ordnung.
Er lag auf dem Bett und weinte.
Nicht hysterisch oder impulsiv. Er heulte nicht. Es war nur ein stetiger Tränenfluss. Eher still und todtraurig. Die Tränen rannen aus seinen Augen, und diese starrten ins nichts. Mehr war nicht.
Aber ich erschrak darüber. So wie er selbst, als er mich bemerkte.
Einen unangenehmen Moment lang sahen wir uns an, beide irgendwie peinlich berührt, beide etwas ertappt, und uns so fremd wie lange nicht.
Ich war einfach so in sein Zimmer eingedrungen, ich Idiot.
So zumindest musste er es empfinden.
»Ich habe dich gesucht...«, versuchte ich mich zu erklären.
»Nun hast du mich ja gefunden...«. Er drehte seinen Kopf zur Seite, so dass ich sein Gesicht nicht sehen konnte und zog die Nase hoch. »Zufrieden...?«
»Möchtest du, dass ich dich allein lasse?«
Sein zögerliches 'Ja', das folgte, war mir dann doch zu vertraut, so dass ich blieb. Er meinte es nicht so. Das kannte ich schon. Also setzte ich mich neben ihn auf das Bett und legte vorsichtig meine Hand auf seine Schulter, ganz wie ich es früher immer getan hatte, wenn es ihm mal schlecht ging. Ich sagte nichts, strich nur seine Schulter bis zum Arm hinab und wieder hinauf, sanft und immer wiederkehrend. Die Folge war, dass er sich beruhigte. Seine Anspannung wich etwas und dann, nach ein paar Minuten veränderte sich auch seine Atmung. Sie wurde flacher, gleichmäßiger.
»Was ist los...«, fragte ich irgendwann leise, ohne meine Hand von seiner Schulter zu nehmen. Da drehte er sich um und sah mir eigenartig verzweifelt in mein Auge.
»Das war der Horror für mich, Luca. Kannst du dir das nicht denken?«
Zunächst wusste ich nicht, was er meinte, doch dann dämmerte es mir. Das Zusammentreffen mit meiner Familie war es, was ihn so fertig machte.
»Aber es hat doch alles wunderbar geklappt...«, sagte ich etwas verständnislos.
» Wunderbar geklappt? Mann Luca, dass war unser altes Leben, was da heute abgegangen ist. Das waren wir . Und niemand hat‘s bemerkt. Nicht mal... du...«. Einen Augenblick sah er mich nur fassungslos an, drehte sich dann wieder auf die Seite und vergrub sein Gesicht in seinen Händen.
»Wenn es so furchtbar für dich war...«, sagte ich kälter als ich wollte »...Warum bist du dann geblieben. Du hättest doch einfach gehen können...«
»Deinetwegen! Weil ich bei dir sein wollte...«. Einen Moment lang schwieg er, und in diesem Moment begann ich wirklich zu begreifen
»Ich wollte bei dir sein, weil ich dachte, dass es für dich mindestens so schwer sein würde wie für mich, das war alles...«
War ich tatsächlich so unsensibel? So abgebrüht? Shiro war für mich da gewesen, ganz wie es sein altes Versprechen vorgesehen hatte, das er mir einst gegeben hatte, vor langer Zeit. Mich zu schützen, vor meiner Familie. Das war der Japaner in ihm. Und ich nahm es noch nicht einmal wahr...
»Es war alles so viel, Shiro. Das mit Orlando, die ganze Hochzeit, die Familie... da habe ich einfach funktioniert! Das Essen musste raus. Da war keine Zeit zum Denken. Die Sache musste durchgezogen werden... anders ging es nicht!« Aber es stimmte! Das letzte Mal, dass wir in dieser Konstellation gekocht hatten, das war in Fano gewesen. Zu einer Zeit, als die Welt noch in Ordnung für uns gewesen war. Jene Zeit, die uns unauslöschlich miteinander verband, die Zeit der Geheimnisse, der Entdeckungen, der tiefen Verbundenheit. Es war unsere intensivste gemeinsame Erfahrung gewesen, die Fanoeser Zeit und das Kochen hatte die Verbindung dazu
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