Der Herzog und seine geliebte Feindin
ein, dass der Blick des Herzogs mühelos durch die Fassade drang, die sie dem Rest der Welt zeigte. Er sah wohl bloß so aus, als wisse er alles.
Er konnte nichts wissen, denn er schaute sie an und lächelte leicht, als sei er erfreut, sie zu sehen. Seine Mundwinkel hoben sich nur ein ganz kleines bisschen, aber auch seine Augen veränderten sich etwas – nur eine Nuance von dem Blassblau von Eiswasser zu dem etwas weniger hellen Blau eines Sommerhimmels.
Sein gutes Aussehen hatte etwas Jungenhaftes: eine gewisse Schüchternheit in seinem Lächeln, sein schlanker Körper. Oder vielleicht stammte der Eindruck auch daher, dass er rasch wegschaute, sie dann aber gleich wieder ansah.
Wenn sie nicht gestern Abend Packerlys Rede gehört hätte, in der er über die Bemühungen des jungen Herzogs im Parlament gesprochen hatte, hätte sie ihn für einen Betrüger gehalten. Gut aussehend, jung und bescheiden? Das war einfach zu gut, um wahr zu sein. Herzöge waren in Wirklichkeit dickbäuchig, alt und anmaßend eingebildet.
„Miss Pursling“, sagte er. „Das ist aber eine unerwartete Freude.“
Unerwartet, das glaubte sie gerne. Freude … das würde er wieder zurücknehmen, bevor sie miteinander fertig waren.
„Euer Gnaden“, erwiderte sie.
Er nahm ihre Hand kurz in seine – durch ihre Handschuhe noch meinte sie seine Wärme spüren zu können – und neigte den Kopf.
„Miss Charingford.“ Clermont beugte sich über die Hand ihrer Freundin, als sei sie eine vornehme Dame. Während er das tat, schaute Lydia Minnie von der Seite an und presste die Lippen zusammen, als müsse sie ein Kichern unterdrücken.
„Was bringt die Damen heute zu mir?“, erkundigte er sich.
Lydia warf ihrer Freundin einen vielsagenden Blick zu, wartete darauf, dass sie antwortete.
„Falls jemand fragt“, begann Minnie, „sind wir gekommen, um Spenden für den Arbeitergesundheitsverein zu sammeln.“ Sie hielt den Atem an, fragte sich, wie scharfsinnig er wohl war.
Der Herzog überlegte kurz. „Ich fühle mich geehrt“, sagte er dann. „Ich werde dafür sorgen, dass eine Anweisung über eine angemessene Summe ausgestellt wird, wenn Sie mir mitteilen, an wen. Was den Rest betrifft … Wenn es um letzte Nacht geht, können Sie sich darauf verlassen, dass ich die Diskretion in Person bin.“
Hinreichend scharfsinnig.
Lydia hob angesichts der Erwähnung eines gestrigen Gesprächs eine Augenbraue. Minnie schüttelte den Kopf. „Nein, Euer Gnaden. Es gibt etwas anderes, was ich mit Ihnen besprechen muss. Ich fürchte, Miss Charingford ist zwar als Anstandsdame mitgekommen, aber was ich sagen muss, ist nicht für ihre Ohren gedacht.“
„Stimmt“, erklärte Lydia unbekümmert. „Ich habe keine Ahnung, worum es geht.“
„Verstehe.“ Sein Lächeln verblasste, machte wachsamer Kühle Platz. Kein Zweifel, er stellte sich etwas Schreckliches oder gar Anstößiges vor – irgendwelche finsteren Pläne, um ihn in die Ehefalle zu locken. Er war ein gut aussehender Herzog mit einem beträchtlichen Vermögen; vermutlich war er regelmäßig solchen Intrigen ausgesetzt. Aber er setzte sie nicht vor die Tür. Stattdessen rieb er sich das Kinn und schaute sich im Zimmer um.
„Nun. Wenn Sie leise genug reden, kann Miss Charingford hier sitzen.“ Er deutete auf einen Stuhl unweit der Tür. „Wir lassen die Tür offen und gehen ans Fenster. Sie wird alles sehen können, ganz wie die Regeln des Anstands es verlangen, aber nichts hören.“
Er hielt Lydia den Stuhl hin. Er gab den perfekten Gentleman, seine Manieren waren so natürlich und ungekünstelt, dass sie an ihren Instinkten zu zweifeln begann. Er läutete eine Klingel und bat um Tee auf zwei Tabletts, als ein Dienstbote erschien. Während sie warteten, legte er Minnie eine Hand auf den Rücken und geleitete sie zum Fenster. Es war eine Berührung, die kaum der Rede wert war – nur seine warme Hand auf ihrem Rücken, gedämpft durch viele Lagen Stoff – aber dennoch spürte sie sie am ganzen Körper, und ihr Puls beschleunigte sich.
Es war so unfair, dass sie hätte schreien mögen. Er war reich, gut aussehend und imstande, ihren Herzschlag mit einem Streifen seiner Finger aus dem Rhythmus zu bringen. Sie war hergekommen, um den Mann zu erpressen, nicht um mit ihm zu flirten. Aus dem Fenster konnte sie den Platz vor dem Haus sehen.
Plätze waren in Leicester nicht so häufig wie in London. Dieser war schlecht gepflegt. Es gab einen Baum, so spindeldürr, dass er kaum diese
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