Der Herzog und seine geliebte Feindin
Angesprochene beugte sich über ihr Notizheft und blätterte es durch. „Mm“, sagte sie. „Das … müsste gehen.“
„Unsinn“, unterbrach Stevens sie. „Das ist alles Unsinn, wie ich schon sagte – die Anweisungen zur Desinfektion, die Lösung und die Flugblätter.“ Er sandte Miss Pursling einen harten Blick. Es war ein Blick, der verriet, dass er sich Roberts jüngste Warnung nicht zu Herzen genommen hatte – er dachte immer noch schlecht von ihr.
„Sicher ist nicht alles Unsinn“, warf Miss Peters ein. „Schließlich …“
Robert beugte sich vor.
Stevens schlug mit der flachen Hand auf den Tisch vor sich. „Die Desinfektion wäre vollkommen überflüssig, wenn diese dämlichen Arbeiter einfach ihre Kinder impfen lassen würden, wie das Gesetz es vorschreibt.“
Der Mann in dem geflickten Tweed sprang auf. „Ich will verdammt sein, wenn ich zulasse, dass irgendein dahergelaufener Impfheini meine Kinder mit Nadeln voller Krankheiten sticht.“
„Meine Mutter, sie wurde geimpft und ist eine Woche später gestorben.“
Die plumpe Frau lehnte sich über den Tisch. „Und ich habe meinen Jess impfen lassen, und er hat trotzdem die Windpocken bekommen und ist erblindet. Wie sich herausgestellt hatte, war dem Impfarzt der Impfstoff ausgegangen, als wir kamen, und daher hat er einfach Alkohol genommen und trotzdem den normalen Preis verlangt.“
Etwa die Hälfte der Leute an dem Tisch war aufgestanden und starrte den Hauptmann gemeinsam an. Ein falsches Wort, und am Ende würde die Versammlung in Gewalt enden.
In dieser angespannten Atmosphäre rutschte Miss Pursling auf ihrem Stuhl nach hinten, saß ganz aufrecht. Sie hob eine Hand und berührte ihre Narben im Gesicht, betastete sie, als seien sie ein Talisman gegen zukünftigen Schaden.
„Stevens“, sagte ein Mann mit tiefer Stimme, „ich habe sicher so viel Interesse wie Sie daran, dass geimpft wird.“
Das kam von einem dunkelhaarigen Mann, der in der Nähe des unteren Tischendes saß – Dr. Grantham, ein junger Arzt, der eine Praxis in der Belvoir Street hatte. Seine Worte schnitten durch die wachsende Spannung, und Miss Pursling stieß ein leises Seufzen aus, lehnte sich gegen die Rückenlehne ihres Stuhles.
Grantham spielte müßig mit seinem Füllfederhalter. „Aber bei der Ausübung meines Berufes habe ich gelernt, dass ich die Patienten behandeln muss, die ich habe, nicht die, die ich mir zu haben wünsche.“
Stevens musterte ihn unwillig. „Was soll das heißen?“
Grantham zuckte die Achseln. „Ich wünschte, ich hätte Patienten, die zu jeder Mahlzeit Gemüse und Fleisch essen würden, sauberes Wasser, um sich zu waschen, und ein Fenster in jedem Zimmer hätten. Ich wünschte, ich hätte Patienten, die sich nicht für ihre Arbeit bücken müssten.“ Mit seinem Stift klopfte er auf seine Fingerknöchel, während er sprach. „Das ist schlecht für das Rückgrat und die inneren Organe, dieses Bücken.“ Er zuckte wieder die Achseln. „Ich wünschte auch, ich hätte Patienten, die doppelt so viel in den Fabriken verdienen, wie sie jetzt bekommen. Aber ich nehme einfach die Patienten, die ich habe.“
„Genau, sagen Sie’s ihm, Doktor“, murmelte die Witwe.
„Wenn man ihnen gestattet, selbst Entscheidungen zu treffen, führt das nur zu Unruhe und weckt den gefährlichen Wunsch bei ihnen, am Ende selbst zu regieren“, zischte Stevens. „Gerede davon, ihre eigenen Regeln aufzustellen. Und bevor wir uns versehen, müssen wir einen neuen Vorstoß der Chartisten niederschlagen. Bereits jetzt sprechen die Leute von Wahlrecht. Diese Stadt ist ein Pulverfass, und Sie alle schwenken Fackeln.“ Mit seiner Handbewegung schloss Stevens nicht nur Grantham ein, sondern auch Miss Pursling. „All diese Reden bringt die Leute nur auf Ideen .“
Grantham lächelte und lehnte sich vor. „Wissen Sie, dass ich im Verlauf meiner Ausbildung als Mediziner gelernt habe, dass alle Menschen ihren Verstand benutzen? Sogar die Armen und die Fabrikarbeiter. Sie brauchen keine reichen Leute, dass sie sie auf Ideen bringen. Sie entwickeln sie ganz von allein.“
„Meine Herren.“ Miss Pursling klopfte mit den Fingerknöcheln auf den Tisch, das erste laute Geräusch, das sie machte. „Die Frage des Impfens müssen wir auf später vertagen. Unser Thema im Moment ist Desinfektionsmittel – und ich darf Sie beide daran erinnern, dass Desinfektionsmittel helfen, Cholera und Influenza zu verhindern, zwei Krankheiten, gegen die wir ohnehin
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