Der Herzog und seine geliebte Feindin
Dienstboten waren damit beschäftigt, Papier zusammenzuknüllen und nur nach und nach ins Feuer zu legen, um es nicht zu heftig anzufachen. In der Luft lag schwer der Geruch von brennenden Fasern.
„Was ist das?“, fragte Minnie.
„Oh, hast du es noch gar nicht gehört?“, fragte Lydia. „Irgendeine Bande Radikaler verteilt überall in der Stadt Flugblätter. Einen Riesenstapel haben sie vor Papas Strumpffabrik deponiert. Er musste sie selbst den Arbeitern aus der Hand reißen, und er hat den ganzen Morgen damit verbracht, sie alle einzusammeln.“
Minnie schaute ihre Freundin an. „Sind sie so schlimm?“
Lydia lächelte keck und trat in den Raum, nahm einem Diener ein zerknülltes Blatt Papier aus der Hand und rettete es vor den Flammen. „Sieh selbst.“
Minnie schaute auf die Seite, die ihre Freundin ihr hinhielt. Sie nahm es, überflog es …
Und entdeckte einen Absatz, bei dem sie sich vor Schreck die Hand vor den Mund schlug.
… Arbeitsniederlegung ist so etwas wie ein Abzugsangriff. Erst verleiht man den eigenen Befürchtungen eine Stimme, so laut wie aus tausend Kehlen. Dann verlässt man die Fabriken, in denen man schuftet – und lässt die schlaffer werdenden Geldbeutel seiner Herren für sich sprechen. Man muss sich bewusst sein, wo man steht, berücksichtigen, welche Stelle man frei macht.
„Es geht darin um Streik“, bemerkte Lydia, „nicht wahr?“
Arbeitsniederlegung ist so etwas wie ein Abzugsangriff.
Minnie spürte, wie ihr Blut zu Eis erstarrte. „Vielleicht.“ Ihr war ein bisschen schwindelig. „Zwischen darüber reden und es tatsächlich organisieren und ausführen ist aber noch einmal ein großer Unterschied.“ Sie musste sich mit der Hand an der Wand abstützen.
Man muss sich bewusst sein, wo man steht, berücksichtigen, welche Stelle man frei macht.
Diese Worte waren vertraut – zu vertraut. Dieser letzte Satz war beinahe ein wörtliches Zitat aus Tappitts „Vom Schach“, ein wenig bekannter Wälzer. Sie hatte daraus vor dem Duke of Clermont zitiert, sich weiter nichts dabei gedacht. Zudem hatte er selbst zugegeben, dass er vom Schachspiel nichts verstand.
Sie hatte diese Worte auch vorher verwendet. Sie hatte vor ein paar Monaten etwas fast Gleichlautendes zu Stevens gesagt, als sie über die Wasserpumpe in Harley gesprochen hatten. Eigentlich nicht verwunderlich, schließlich war das Schachvokabular von klein auf Teil ihres Lebens gewesen. Ihre erste Erinnerung war, dass sie vor einem Schachbrett saß, ihrem Vater gegenüber.
Das, hatte er gesagt, ist ein Abzugsangriff. Siehst du? Ein Zug, zwei Bedrohungen. Kannst du sie mir zeigen?
„Wenn es nicht wahr wäre“, bemerkte Lydia, „wäre Vater nicht so außer sich gewesen. Aber er kann es sich nicht leisten, dass in der Strumpffabrik die Arbeit niedergelegt wird.“
„Verstehe“, war alles, was Minnie hervorbrachte.
Lydia winkte den Dienstboten. „Wir können das hier fertig machen“, teilte sie ihnen mit. „Sie dürfen gehen.“ Die Dienstmädchen standen auf und verließen das Zimmer. Lydia setzte sich vor das Feuer und begann, die Flugblätter eins nach dem anderen den Flammen zu übergeben.
Gut. Alle verbrennen. Vielleicht hatte niemand sie gesehen. Er hatte ihre Worte verwendet.
„Lydia, hast du Stevens gesehen?“
„Erst heute. Nachdem das hier entdeckt wurde, haben er und mein Vater sich stundenlang beraten. Wenn es einen Streik geben wird, muss Stevens ihn letztlich niederschlagen. Sie haben über etwas gestritten. Und dann ist Stevens gegangen – Vater hat mir gesagt, er wollte nach Manchester, um etwas zu überprüfen. Obwohl ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, was er über unsere Arbeiter in Manchester erfahren will. Vielleicht stehen die Arbeiter untereinander in Verbindung?“
Nein. Stevens hatte das Flugblatt gelesen. Ihm war eingefallen, dass Minnie den Begriff „Abzugsangriff“ verwendet hatte. Und – wie er es versprochen hatte – war er nach Manchester gereist, um über sie Nachforschungen anzustellen, weil er glaubte, sie habe damit zu tun. Minnie war schwindelig.
„Denkst du, Vater zahlt den Arbeitern genug? Stevens sagt, wenn er einmal ihren Forderungen nachgibt, werden sie sich beim nächsten Mal restlos unvernünftig zeigen. Aber ich bin überzeugt, dass dir etwas einfiele, um das zu verhindern. So, wie du es bei dem Arbeitergesundheitsverein getan hast.“
Es gab nichts, was sie im Moment unternehmen konnte. Minnie schüttelte den Kopf, versuchte,
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