Der heulende Müller
herunter. »Was ist schon der eine Rucksack, das bißchen Kohl…
Denk bloß an den Tag, als ich den verdammten Mai schebottich von der Ostseite zum Puukkohügel getragen hab’… Das war ‘ne Menge Arbeit für einen einzelnen Mann. Wenn es nicht meine eigene Brennerei gewesen wäre, hätte ich das Zeug glatt am Reutuberg stehenlas sen, bis der Kommissar drüber gestolpert wäre, glaubst du’s?«
In der Seitentasche des Rucksacks fanden sich noch Briefpapier und Umschläge, Bleistifte und ein Radier gummi, ein Spitzer, ein Lineal, Hefte und ein paar Bü cher sowie mehrere Lehrbriefe der Fernakademie. Hut tunen dankte seinen Gästen wortreich für das Mitge brachte und verstaute es in seinem eigenen Rucksack.
Post war ebenfalls gekommen: die Nordnachrichten sowie eine Rechnung vom Eisenwarenladen aus Kemi. Sie betraf den im Frühjahr bestellten Treibriemen. Ziem lich teure Angelegenheit, stellte Huttunen fest und warf die Rechnung ins Feuer.
»Ich werde euch Liebende jetzt mal allein lassen«, schlug Piittisjärvi vor. Er spielte den Feinfühligen und wollte doch nur zu seinem Branntweinfaß entwischen. Das Kaffeewasser kochte jedoch, und der Briefträger
mußte sich noch gedulden. Sanelma Käyrämö öffnete das Kaffeepaket und schüttete reichlich Blonde Johanna in den Kessel. Piittisjärvi schlürfte seinen Kaffee ko chend heiß und ließ sich nicht nachschenken. Mit dampfendem Mund verließ er den Unterstand und ver sprach noch im Gehen, daß mit ihm in den nächsten Stunden nicht zu rechnen sei.
»Macht, was ihr wollt, ich sehe euch nicht dabei zu.« Das war ein glücklicher Sonntag. Ein kühler Spät
sommerwind trieb die Mücken nach unten ins Moor. Die Sonne schien, der Puukkobach plätscherte einschlä fernd, die starken Gerüche der Sümpfe hingen in der Luft. Die Klubberaterin und der Einsiedler redeten pausenlos, planten Huttunens künftiges Leben, seufz ten, küßten sich. Huttunen wäre auch weitergegangen, doch Sanelma Käyrämö wehrte ab. Huttunen verstand, daß sie Angst davor hatte, ein Kind zu bekommen, das womöglich von Geburt an geistesgestört wäre. Sie sagte jedoch, daß sie ihn heiraten wolle, später irgendwann, wenn sich alles geklärt hätte. Aber ans Kinderkriegen könne sie noch nicht denken… Sie habe daran gedacht, Huttunen später ein Kind zu gebären, dann, wenn er geheilt sei… Und sie würde gewiß alles dafür tun, daß es dazu käme. Dann könnten sie sich einen ganzen Haufen Kinder anschaffen! Aber falls er nicht geheilt würde, dann wäre es ihr zu riskant.
»Wir können ja ein Kind adoptieren, oder auch zwei. Wir suchen uns gesunde Babys aus, die kann man sich in der Entbindungsanstalt von Kemi gleich mitnehmen. Und man braucht den Müttern nicht mal was dafür zu bezahlen, weil sie so arm sind, daß sie ihre Kinder so wieso nicht ernähren können.«
Huttunen versuchte zu verstehen. Natürlich wäre es schrecklich, wenn ein Mensch gleich von Geburt an als verrückt gelten würde…
Anschließend sprach Huttunen davon, seine Mühle zu verkaufen. Er kam auf die Idee, deswegen an Happola nach Oulu zu schreiben. Vielleicht gelänge es dem Mak ler ja doch, den Verkauf in die Wege zu leiten. Jetzt war schon Spätsommer, vielleicht war er inzwischen aus der Klinik entlassen worden. Mittlerweile waren zehn Jahre nach Ausbruch des Fortsetzungskrieges vergangen, und wie Huttunen sich erinnerte, hatte sich Happola gleich zu Beginn des Krieges in die Irrenanstalt einliefern lassen.
Huttunen diktierte, Sanelma schrieb. Happola bekam freie Hand in der Angelegenheit. Dann wurde der Brief verschlossen und frankiert.
Gegen Abend gab es Essen. Sanelma Käyrämö hatte eine Gemüsesuppe gekocht. Die Butterbrote dazu waren mit Speck und mit frischen Salaten belegt. In Schalen aus Birkenrinde servierte die Klubberaterin anschlie ßend gezuckerte Beeren und geschnitzelte Rüben. Wirk lich lecker, lobten die Männer das Speisenangebot. Sanelma Käyrämö errötete zufrieden und strich sich immer wieder ihre widerspenstigen Locken aus der Stirn. Huttunen konnte den Blick nicht von ihr abwen den; er war so verliebt, daß ihm die Glieder unruhig wurden. Es fiel ihm schwer, still sitzen zu bleiben, am liebsten wäre er um das Feuer spaziert vor lauter Liebe.
Nach dem Mahl mußten die Gäste aufbrechen, denn der Weg war weit und Piittisjärvi tüchtig betrunken. Huttunen begleitete sie. Zum Glück hatten sie nicht viel Gepäck. Sanelma Käyrämö
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