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Der heulende Müller

Titel: Der heulende Müller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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Zwangsneurosen bzw. Psychasthenie« litten. Huttunen mußte zugeben, daß auch bei ihm die beschriebenen Symptome auftra­ ten, trotzdem hielt er sich nicht für einen echten Psy­ chastheniker. Alles in allem entsprach das Buch nicht seinen Erwartungen, Aufschluß über seine eigene Krankheit zu finden. Aber sonst war es interessant, sogar amüsant. Besonders gefielen ihm die Beschrei­ bungen von Psychopathen. Am meisten Spaß machte ihm zunächst der Fall Nummer vierzehn:
    »Ein Mann mittleren Alters, der niemals außerhalb Deutschlands gewesen war, reiste herum und hielt Vorträge. Er erzählte, er sei in Pretoria, der Hauptstadt der südafrikanischen Republik Transvaal, geboren. Während des Burenkrieges habe er sagenhafte Helden­ taten vollbracht, u.a. an 42 Schlachten teilgenommen, und habe für seine Verdienste von Präsident Krüger den Titel eines Freiherrn verliehen bekommen. Bei seinen Vortragsveranstaltungen verkaufte er Postkarten, auf denen er in Militäruniform dargestellt war (Abb.3).«
    Das abgebildete Foto zeigte einen Mann in prächtiger Offiziersuniform. Ein sympathisch wirkender Bursche, der Huttunen sofort gefiel. Der Einsiedler wurde wütend, als er las, wie die Deutschen mit dieser verwandten Seele umgesprungen waren. In dem Buch hieß es näm­ lich: »Die Polizei wurde auf den Mann aufmerksam und wies ihn zwecks ärztlicher Untersuchung in eine Ner­ venklinik ein, wo man ihn als einen Psychopathen vom Typus des Lügners und Abenteurers einstufte.« Der Autor Fabritius charakterisierte den Fall aus finnischer Sicht. Er konstatierte, man könne den Mann »noch nicht als Kriminellen abstempeln, doch in einer geordneten Gesellschaft wird nicht gestattet, daß eine Person ihren Lebensunterhalt damit bestreitet, öffentliche Vorträge zu halten, deren Inhalt aus der Luft gegriffen ist, auch wenn sie recht spannend sind und dem Publikum an­ scheinend gefallen«.
    Erbost schleuderte Huttunen das Buch von sich. Er konnte sich vorstellen, welche Erfahrungen der arme Kerl anno dazumal in einer deutschen Nervenklinik gemacht hatte. Die dortigen Kliniken waren bestimmt noch düsterer als das Ouluer Irrenhaus, und das war schon eine wahre Hölle der Gefangenschaft gewesen.
    Während der nächsten Tage widmete sich Huttunen eifrig dem Studium. Er arbeitete die Aufgaben im Lehr-brief für schriftlichen Ausdruck durch, las Auszüge aus Haupt- und Nebensätzen und konnte sich nicht genug darüber wundern, besonders über nebengeordnete und untergeordnete Sätze, zu denen es folgende Beispiele gab:
    »Mit vielem kommt man aus, mit wenigem hält man haus.«
    »Wir machen einen Ausflug und bleiben den ganzen Tag.«
    »Wir brechen nur auf, wenn es warm ist.« Der Inhalt der Sätze interessierte den Einsiedler mehr
    als ihr grammatikalischer Aufbau. Er dachte an seine eigenen Ausflüge und stellte verärgert fest, daß er den ganzen Sommer über gezwungen war, Ausflüge zu ma­ chen, auch dann, wenn es kalt war. Dafür sorgte Kom­ missar Jaatila.
    Huttunen wurde ferner mit dem Laut äng bekannt. Es amüsierte ihn, daß sich erwachsene Männer damit abgaben, Regeln für solche Selbstverständlichkeiten aufzustellen. Mehr Verständnis hatte er für den Ab­ schnitt über Schlußbehauchung oder Aspiration. Er redete ein Weilchen ohne Aspiration vor sich hin und mußte über seine eigenen Sätze so lachen, daß ihm die Tränen kamen. Zum Glück hörte ihm niemand zu.
    Handelslehre und -recht interessierten Huttunen mehr als schriftlicher Ausdruck. Als erstes las er das Lehrbuch, das ihm Sanelma Käyrämö beschafft hatte und das von den Autoren I. V. Kaitila und Esa Kaitila stammte. Ob die beiden miteinander verwandt waren? Vielleicht ein Ehepaar? Der Text war ziemlich trocken, doch die Fakten waren klar und in leicht verständlicher Form dargestellt. Für die Lösung der Aufgaben im Lehr-brief hätte Huttunen nur den Inhalt der ersten zwanzig Seiten gebraucht, doch da gerade Regentage waren, ackerte er das ganze Buch von Anfang bis Ende durch. Dann machte er sich daran, die Fragen der Fernakade­ mie zu beantworten.
    In einer der Aufgaben wurde verlangt, Großhandel und Einzelhandel miteinander zu vergleichen. Huttunen mußte an Kaufmann Tervola denken. Hinter seine ei­ gentliche Antwort schrieb er den Zusatz:
    »Hier in unserem Dorf verkauft der Einzelhändler Ter­ vola an Geisteskranke nur dann Lebensmittel, wenn ihm mit der Axt gedroht wird. Beim Großhandel würde man eher Waren bekommen als bei

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