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Der heulende Müller

Titel: Der heulende Müller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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ermüdete auf der letzten Wegstrecke, sie war an so lange Einödwanderungen nicht gewöhnt. Piittisjärvi ermüdete ebenfalls, wenn auch aus anderen Gründen. Zum Schluß ging Huttunen zwischen seinen beiden Gästen, um sie zu stützen.
    Piittisjärvi redete und lachte unentwegt, die Klubbera­ terin lehnte sich innig an Huttunen. So gelangten sie zur Landstraße, wo Huttunen und Sanelma Käyrämö einan­ der zärtlich Lebewohl sagten. Wer weiß, wann sie einan­ der wieder treffen würden? Beide versprachen, sich fleißig zu schreiben. Piittisjärvi gelobte, die Briefe ohne Postgebühren zu befördern.
    »Wozu die Sachen erst zur Post schaffen und extra abstempeln lassen. Das Briefmarkenlecken könnt ihr euch sparen, ich werd’ keinen Lärm schlagen… Ich drück’ ein Auge zu! Die Post macht nicht gleich Pleite, wenn du keine Marken auf den Umschlag klebst, Kun­ nari!«
    Als Huttunen allein geblieben war, ging er zum Kemi­ fluß, entwendete dort ein Boot und ruderte zum Ostufer hinüber. Durch die Wälder wanderte er zum Reutuberg und wartete dort auf die Nacht.
    Um Mitternacht begann er zu heulen. Er klagte mit so hoher und weittragender Stimme, daß er mit Sicherheit bis ins Kirchdorf zu hören war. Nach einer Weile hielt er inne und zündete sich eine Zigarette an. Er dachte sich, wenn dieses neue Geheul im Dorf gehört würde, dann würde man hier am Reutuberg und am Sivakkafluß nach ihm suchen.
    »Ich muß mir mit Heulen den Rücken freihalten.« Als er zu Ende geraucht hatte, heulte er weiter. Er
    heulte klagend, langanhaltend, dann wieder drohend und mit dumpfer Stimme wie ein in die Enge getriebenes Tier. Es brachte ihn außer Atem und erleichterte ihn zugleich. Eigentlich machte es Spaß, hatte er doch tagelang darauf verzichten müssen.
    Als er genug geheult hatte, verstummte er und warte­ te auf das Echo. Die Hunde in den Dörfern hatten den Ruf gehört, sie winselten im Chor. Im Kirchdorf würde in dieser Nacht keine Seele mehr schlafen.
    Nach der Heulaktion verließ Huttunen den Reutuberg. Erst in den frühen Morgenstunden langte er in seinem Lager westlich des Kemiflusses an. Als er erschöpft in seinem Unterstand ausruhte, dachte er, was dies doch für ein Leben sei: Da muß der Mensch nahezu vier Meilen marschieren, zweimal dasselbe Boot stehlen und hin und zurück über den Kemifluß rudern, und wozu?
    »Die ganze Nacht unterwegs, bloß wegen einem biß­ chen Geheul.«
    31
    Das Wetter wurde regnerisch und kühl. Das einsame Einsiedlerleben im Unterstand machte Huttunen zu schaffen. Nachts war es kalt und nebelig, tagsüber tödlich langweilig. Die einzige gute Seite am Wetterum­ schwung war, daß die Fische gut anbissen. Die beste Angelperiode des Spätsommers hatte begonnen. Huttu­ nen mußte sich jedoch zurückhalten, denn er besaß keine Fässer, um den Überschuß einzusalzen.
    Als die Regenfälle anhielten, wurde das Nadeldach des Unterstandes durchlässig. Um dem abzuhelfen, riß Huttunen große Stücke Birkenrinde von dicken Stäm­ men herunter und schichtete sie schuppenartig über die Zweige, wie Schindeln auf einem Scheunendach. Es regnete nicht mehr durch, und nachdem Huttunen dazu übergegangen war, auch tagsüber ein Lagerfeuer vor dem Eingang brennen zu lassen, wurde sein Dasein angenehmer. Aber die Zeit verging sehr langsam. Bloßes Grübeln machte auf die Dauer keinen Spaß, besonders da ihm hauptsächlich Verrücktheiten einfielen.
    Huttunen nahm sich die Bücher und die Lehrbriefe der Fernakademie vor, die ihm die Klubberaterin mitge­ bracht hatte. Als erstes griff er nach einem medizini­ schen Werk, verfaßt von H. Fabritius, das den Titel trug Nervosität und Nervenkrankheiten. Im Klappentext wur­ de es als das bedeutendste Buch gepriesen, das in Finn-land zu diesem Thema geschrieben worden sei. Interes­ siert suchte Huttunen darin nach einer Erklärung für seine eigene Geisteskrankheit. Auf den ersten Blick schienen ziemlich viele Krankheitsbilder auf ihn zu passen. Zum Beispiel entdeckte er viel Bekanntes in dem Kapitel »Überempfindliche und leicht Reizbare«. Nicht angesprochen fühlte er sich hingegen von dem Kapitel, in dem nervös bedingte Störungen an den Ge­ schlechtsorganen behandelt wurden. An seinen Ge­ schlechtsorganen war kein Fehler! Das einzige Hindernis bei der Befriedigung seines Geschlechtstriebes war Sanelma Käyrämös Angst vor irren Babys.
    Im weiteren Text wurden Patienten vorgestellt, die un­ ter »Zwangsvorstellungen oder sog.

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