Der Hexenschwur: Roman (German Edition)
sie laut klagend auch von Magdalena, Benjamin und Johann Abschied genommen.
Magdalenas Blick wanderte über Wiesen und Äcker zum Hoxberg und blieb an ihrem Bruder hängen, der Arm in Arm mit seinem Freund Georg dastand und mit ihm herumalberte. Für den Sechsjährigen kam die Reise einem Abenteuer gleich, denn sein Vater hatte ihm in bunten Farben vom fernen Eichsfeld erzählt. Johann hatte die Burg Bodenstein, auf der er und Franziska einst getraut worden waren, lebendig beschrieben. Als der Junge hörte, dass in den alten Mauern der Geist der Anna Susanna umgehen sollte, kannte seine Begeisterung keine Grenzen mehr. Benjamin konnte es kaum erwarten, dass es endlich losging. Vielleicht ist es besser, wenn er noch nicht versteht, dass es ein Abschied für immer sein wird, dachte Magdalena, als ihr Vater rief: »Es wird Zeit!«
Johann war von zahlreichen Menschen umringt, die ihm alle auf die Schulter klopften. Viele aus Wellingen waren gekommen, um der Familie Bonner Lebewohl zu sagen. Zwar verstanden die meisten nicht, warum Johann das Wagnis der Reise auf sich nahm, doch da kaum einer je aus dem Dorf herausgekommen war, konnte sich niemand vorstellen, wo dieses Eichsfeld lag.
Johann ging um den Wagen, drückte Maria an sich und gab ihr einen letzten Kuss auf die Stirn. Dann umarmte er ein letztes Mal seinen Freund Clemens, der ihm etwas zuraunte, woraufhin er die Hand hob und in Richtung Fenster winkte. Lächelnd fuhr er Georg über den Scheitel und half seinem Sohn auf den Kutschbock, um ihn zwischen Schwester und Mutter zu setzen. Dann nahm Johann neben Franziska Platz. Er hob die Zügel auf, und ohne ein weiteres Wort zu sprechen oder noch einen Blick zurückzuwerfen, schnalzte er mit der Zunge. Die beiden Pferde schritten los.
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Stunde um Stunde ruckelte das Fuhrwerk der Familie Bonner über Stock und Stein. Manche Wege waren durch den harten Winter und die anschließende Schneeschmelze tief ausgewaschen, sodass Johann das Gefährt umsichtig durch die tiefen Erdlöcher lenken musste. Vorsorglich hatte er ein Ersatzrad mitgenommen, doch er wollte nicht gleich am ersten Tag einen Speichenbruch heraufbeschwören.
Das Gespann fuhr an Wiesen, Wäldern und Ortschaften vorbei, von denen sie die Namen nicht kannten. Nur selten begegneten ihnen Menschen. Johann war bestrebt, am ersten Tag so weit wie möglich zu kommen. Seit seiner Flucht vor dem Vater und aus seiner Heimat vor mehr als siebzehn Jahren, die ihn quer durchs Reich geführt hatte, wusste er, dass es langsamer vorwärtsgehen würde, je näher sie großen Städten kamen.
Er schielte zu seiner Familie. Noch immer starrten seine Frau und seine Tochter regungslos vor sich hin. Auch sprachen sie kein Wort. Zuerst hatte er versucht, sie mit Fragen zu locken, aber sie taten, als ob sie ihn nicht hörten, und so ließ er sie in Ruhe. Sein Sohn Benjamin hingegen schwatzte unentwegt. Alles, was er sah, teilte er seiner Familie mit – einerlei, ob es ein Sperber in der Luft oder eine gelbe Blume am Wegesrand war. Gab es nichts zu beobachten, fragte er seinem Vater buchstäblich Löcher in den Bauch. Es hatte für Johann den Anschein, als ob sein Sohn die schlechte Stimmung wegschwatzen wollte. Irgendwann legte Benjamin den Kopf in den Schoß seiner Schwester und schlief ein. Als Johann das sah, atmete er erleichtert auf.
Das Ruckeln des Gespanns schien auch Franziska und Magdalena zu ermüden. Als Johann sah, wie der Kopf des Mädchens auf die Schulter ihrer Mutter kippte, spürte er ein warmes Gefühl in seinem Körper. Es wird alles wieder gut, dachte er und lehnte sich entspannt auf seinem Sitz zurück. Seine Gedanken schweiften zurück an den Abend zwei Tage zuvor …
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Das Tor zur Scheune öffnete sich, und Clemens trat ein – in jeder Hand einen Krug Bier. »Ist das alles, was du mitnehmen willst?«, fragte er und betrachtete mit gerunzelter Stirn die Ladefläche des Fuhrwerks. Da Johann schon seit Stunden damit beschäftigt war, die Sachen auf dem Gespann zu verstauen, war Clemens ihm in die Scheune gefolgt. Er reichte ihm einen Krug und ging um das Fuhrwerk herum. »Vier Stühle, Töpfe, eine Kommode, Matratzen, Bettzeug, Kleidung. Mehr nicht?«, fragte er wieder, und Johann schüttelte den Kopf. »Was ist mit euren restlichen Möbeln?«
»Je weniger wir mitnehmen, desto leichter wird es für die Pferde, das Gespann zu ziehen, und umso schneller sind wir in Thüringen. Ich hoffe, dass wir die erste Zeit bei meiner Mutter auf dem Hof
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