Der Hexenturm: Roman (German Edition)
bitter.
Durch den Brand war sein Gesicht zu einer Fratze entstellt und seine blonde Mähne nur noch struppig und spärlich. Frauen, die seine Verletzungen bemerkten, sahen entsetzt zur Seite. Nur nicht selbst bemitleiden, schalt er sich dann in Gedanken.
Er konnte nicht leugnen, dass er Johann und Franziska um ihre Zweisamkeit beneidete. Aber vor allem konnte er nicht verleugnen, dass auch er Gefühle hatte, die sich nicht unterdrücken ließen – Gefühle für Katharina. Was würde sie wohl dazu sagen?
Schon vom ersten Augenblick an, da Clemens Katharina begegnet war, war ihm die junge Frau aufgefallen. Es gefiel ihm, dass sie mutig einer Pflichtheirat entflohen war. Auch hatte er bemerkt, wie sie ihm ohne Abneigung ins Gesicht geschaut hatte. Zudem war sie störrisch, sagte, was sie dachte, und nahm kein Blatt vor den Mund. Gleich bei ihrem ersten Zusammentreffen im Wald auf dem Hülfensberg hatte Katharina ihren Standpunkt vertreten und sich durch Clemens’ schroffe Art nicht abweisen lassen. Katharina tat stets das, was sie wollte, und das gefiel Clemens.
Im Laufe ihrer gemeinsamen Wanderschaft hatte sich die junge Frau unaufgefordert um seine Wunden gekümmert, und dank ihrer Kenntnisse der Heilkunde war die Verletzung gut abgeheilt. Eine zarte rosafarbene Haut hatte sich gebildet, die Clemens auf Katharinas Geheiß hin täglich mit Ringelblumensalbe einrieb, so dass sie geschmeidig blieb.
Während dieser Zeit der Pflege hatte Clemens bemerkt, dass sein Herz schneller schlug, wenn Katharina ihn berührte. Er brauchte nur ihre Stimme zu hören, und schon breitete sich eine wohlige Wärme in seinem Körper aus. Das muss Liebe sein, dachte er. Gern hätte er mit ihr darüber gesprochen, ihr seine Gefühle offenbart, doch nie fand er den rechten Augenblick. Sobald wir eine feste Unterkunft haben, werde ich mit Katharina reden!, schwor er sich.
In der Mehlkammer war es ruhig geworden. Clemens zog den leeren Sack, der ihm als Decke diente, bis zum Hals und schlief wieder ein.
Katharinas Augen brannten vor Müdigkeit. Ihr kam es vor, als würde sie seit Stunden wach liegen. Verhaltenes, aber doch lustvolles Stöhnen hatte sie geweckt. Sie wusste sofort, dass die Geräusche von Johann und Franziska kamen. Mittlerweile hatte sie sich daran gewöhnt und versuchte nicht weiter darauf zu achten. Meist schlief sie sofort wieder ein. Heute jedoch drang das leise Stöhnen zu ihr durch, obwohl sie sich den Mehlsack über die Ohren zog.
Wie wird es sein, wenn mich ein Mann berührt? Werde ich dann auch solche Laute von mir geben?, überlegte sie. Nein, dachte sie weiter, ich werde nicht erlauben, dass jemand so etwas mit mir macht. Ich will Gutes vollbringen und nicht schwanger werden.
Dass dies unweigerlich das Ergebnis sein würde, hatte ihr nicht nur Franziska, sondern auch ihre Schwester Silvia bewiesen. Nur weil ihr Mann Otto sich nicht beherrschen konnte, musste meine arme Schwester sterben, schimpfte Katharina in Gedanken. Erneut kehrte die Erinnerung zurück, wie fürchterlich Silvia während der Geburt ihres dritten Kindes geschrien hatte.
Katharina atmete schwer. Ich kann mich nur davor schützen, indem ich mich nicht verliebe, schlussfolgerte sie. Doch sie wusste, dass es für diesen Vorsatz bereits zu spät war. Vorsichtig reckte sie den Kopf und spähte durch die Dunkelheit in die Ecke, in der sie ihn vermutete.
Ach, lieber Gott, betete sie in Gedanken. Was soll ich machen? Ich kann unmöglich zu ihm gehen und ihm meine Gefühle gestehen. So etwas macht ein anständiges Mädchen nicht. Ich weiß nicht einmal, ob er mich mag. Unruhig rollte sie sich auf die Seite. Aber wenn er mich mag, dann müsste ich früher oder später mein Lager mit ihm teilen. Verflucht, schimpfte sie in Gedanken, ich will nicht schwanger werden.
Katharina legte sich auf den Bauch und verschränkte die Hände über dem Kopf. Während sie weiter ihren Gedanken nachhing, übermannte sie schließlich doch der Schlaf.
Als die fünf jungen Leute in der Mehlstube erwachten, dämmerte es draußen. Gemeinsam gingen sie in die Küche, wo die Müllersleute bereits beim Frühmahl saßen.
»Endlich ausgeschlafen?«, murrte der Müller. Seine Frau blickte die fünf freundlich an und reichte jedem eine Scheibe Brot. Auf dem Tisch stand der Topf mit Gerstenbrei, aus dem der kleine Achim stumm seine karge Morgenspeise löffelte. Seine rot geränderten Augen verrieten, dass er geweint hatte.
»Wir würden euch gerne bei der Arbeit
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