Der Hexenturm: Roman (German Edition)
Burghard brachen in Gelächter aus.
»Ist das bei den Franziskanern auch so üblich?«, wollte Clemens wissen und blickte Burghard misstrauisch an.
»Jeder Orden hat seine eigenen Regeln«, antwortete dieser und bettete sich auf sein Lager. Den kleinen Rubin, den er während des Essens in seinem Hosenbund versteckt hatte, legte er unter sein Kopfkissen. Auch die beiden anderen legten sich nieder, und bald verriet ihr gleichmäßiges Atmen, dass sie eingeschlafen waren.
Burghard aber lauschte den Geräuschen um sich herum. Wie gerne würde er gemeinsam mit den Benediktinermönchen nachts beten und singen. Das Aufstehen mitten in der Nacht, das für ihn einst eine Qual bedeutet hatte, wäre ihm jetzt ein Vergnügen. Um halb sechs Uhr in der Frühe die Lesehore, das Stundengebet, abzuhalten und dabei allein für sich eine neue und eine alte Schrift zu lesen, würde ihn erfreuen, aber hier in diesem Kloster ein unerfüllter Wunsch bleiben.
»Herr, öffne meine Lippen, damit mein Mund dein Lob verkünde! «, flüsterte Burghard. Niemals würde er vergessen, dass man sich erst nach diesem Invitatorium, dieser Einladung, mit seinen Brüdern unterhalten durfte. Als er leise den Gesang der Mönche vernehmen konnte, schlief er selig ein.
Es dämmerte, als die drei Burschen am darauffolgenden Morgen mit Bonifatius an der Klosterpforte auf Franziska und Katharina warteten. Während Bruder Benedikt Clemens und Johann den Weg nach Wellingen erklärte, wollte Burghard Bonifatius den kleinen roten Stein zurückgeben und streckte ihm die Hand entgegen. Doch Bonifatius schloss Burghards Finger um den Rubin.
»Er soll Euch die Schmerzen nehmen und an etwas erinnern, das Ihr zwar äußerlich verloren, aber in Eurem Inneren bewahrt habt.« Erstaunt blickte Burghard auf.
»Das ist mein Geschenk an Euch … Bruder!«, fügte der Mönch so leise hinzu, dass die Umstehenden es nicht hören konnten. Erschrocken wollte Burghard etwas entgegnen, doch ihm versagte die Stimme. In diesem Augenblick gesellten sich die beiden Frauen zu ihnen. Die Klosterpforte öffnete sich, und gemeinsam verließen die Freunde die Abtei zu Tholey. Bevor sich das Tor hinter ihnen schloss, schaute sich Burghard ein letztes Mal um. Bonifatius’ Blick war voller Verständnis und Güte.
Die fünf Reisenden hatten Tholey kaum hinter sich gelassen, da setzte leichter Regen ein. Als sie kurze Zeit später den Weg bergab Richtung Thalexweiler einschlugen, peitschte ihnen der Regen bereits in Böen ins Gesicht, und schon bald waren ihre dünnen Umhänge vollkommen durchnässt. Auf dem Weg vor ihnen bildeten sich riesige Pfützen, über die sie nicht mehr springen konnten, sondern die sie durchwaten mussten. Der Boden war glitschig, so dass ihre blanken Füße wegrutschten und der Matsch ihnen nur so entgegenspritzte. Sie froren, und ihre Zähne schlugen vor Kälte aufeinander.
»Es bringt nichts, wenn wir uns jetzt noch unterstellen. Wir sind ja schon durch und durch nass. Am besten wird sein, wenn wir uns beeilen und nicht eher ruhen, bis wir Wellingen erreicht haben«, sagte Clemens an die anderen gewandt.
»Wie weit ist es noch bis dorthin?«, wollte Katharina wissen und umklammerte ihren nassen Umhang, damit der Wind ihn nicht aufblähte.
»Bruder Benedikt sagt, dass wir morgen am frühen Mittag dort sein müssten. Wenn wir allerdings die Nacht durchmarschieren, könnten wir den Ort schon eher erreichen«, versuchte Johann die Freunde zu locken. Als keiner von seinem Vorschlag begeistert zu sein schien, zeigte er hinunter in die Niederung und sagte: »Auch erklärte mir der Mönch, dass der Fluss da unten, Theel genannt, uns die Richtung weisen wird. Er meinte, dass wir ein Stück des Weges sparen können, wenn wir nur immer dicht an seinem Bett marschieren.«
Die fünf sahen sich nachdenklich an, dann nickten sie und folgten Johann über eine Wiese bergab bis in die Nähe des Flusses, dessen Lauf sie fortan folgten. Mittlerweile prasselte der Regen so stark herab, dass die ohnehin feuchte Niederung sich in einen See verwandelte. Bald standen die beiden Frauen bis zu den Waden im Wasser.
»Das kann unmöglich der Weg sein, den der Mönch dir erklärt hat«, beschied Katharina und blickte sich verzweifelt um. »Wir haben wertvolle Zeit vergeudet!«
Da der graue Himmel keine Besserung versprach, blieb Johann nichts anderes übrig, als kleinlaut zuzugeben, dass sie hier nicht weiterkommen würden und umkehren mussten. Schlecht gelaunt stapften
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