Der Hexenturm: Roman (German Edition)
Mann in die Ferne. Dort führte er ein zügelloses Leben und verschleuderte das Geld, bis nichts mehr davon übrig war. Als er Hunger leiden musste, blieb ihm keine andere Wahl, als einen Bürger um Arbeit anzuflehen. Der schickte den einst reichen Mann aufs Feld zum Schweinehüten. Doch der junge Mann verdiente dabei so wenig, dass die Schweine mehr zu essen hatten, als er sich leisten konnte. Da ging er in sich und überlegte: Die Tagelöhner meines Vaters haben genug zu essen, und ich komme hier vor Hunger um. Ich will zurück zu meinem Vater gehen und ihm sagen: »Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein. Mach mich zu einem deiner Tagelöhner.«
Mein eigenes Schicksal ist dem des verlorenen Sohnes gar nicht unähnlich, dachte Burghard. Auch ich hatte ein gutes Leben und bin doch fortgegangen. Und nun muss ich Schweine hüten. Aber zumindest habe ich keine Schuld auf mich geladen, und es geht mir auch besser als dem Sohn in dem Gleichnis, denn ich muss keinen Hunger leiden.
Ein Grunzen riss Burghard aus seinen Gedanken. Sein Blick suchte die Schweine zwischen den Bäumen, und er zählte sie durch. Erleichtert stellte er fest, dass alle da waren.
Burghard lehnte sich zurück und grübelte weiter: Oder habe ich doch Schuld auf mich geladen? Obwohl es mir gut ging, habe ich die Gemeinschaft der Franziskaner verlassen. Wie der Sohn in dem Gleichnis war auch ich selbstsüchtig und habe nur an mich gedacht. Bei diesen Gedanken überkam Burghard eine tiefe Traurigkeit, wie er sie zuvor noch nie gespürt hatte. Ich war immer arm und habe niemals etwas sinnlos vergeudet so wie dieser Sohn, rechtfertigte er sich in Gedanken vor sich selbst und versuchte wieder Herr über seine Gefühle zu werden. Oder habe ich mein Leben töricht verschleudert? Vielleicht hätte ich zurück ins Kloster gehen sollen, statt fortzulaufen? Warum bin ich nicht zu meinen Eltern zurückkehrt? Auch der Vater in dem Gleichnis hat seinen Sohn mit offenen Armen empfangen. Verzweifelt sprang Burghard auf und setzte sich im nächsten Moment wieder. Vielleicht war diese hier doch die richtige Entscheidung?, überlegte er und fürchtete, dass die Zweifel ihn zu erdrücken drohten. Heftig atmend blickte er zum grau verhangenen Himmel, bis sich ein gequälter Laut aus seiner Kehle löste. »Gott, gib mir ein Zeichen, dass ich das Richtige getan habe!«, bettelte er verzweifelt.
»Wie sehe ich aus?«, fragte Regina Rehmringer. Katharina, die ihr aus dem Bett in den Sessel half, trat einige Schritte zurück und betrachtete die Frau genau. »Ihr seht gesund und munter aus. Kein Vergleich zu Eurem Aussehen bei unserer Ankunft.«
»Das ist gut so«, freute sich die alte Frau und blinzelte der jungen Frau verschwörerisch zu. »Dann kannst du ihn jetzt hereinbitten!«
»Du siehst prächtig aus, liebe Tante!«, begrüßte von Baßy Regina Rehmringer und setzte sich ihr gegenüber.
»Ich bin nicht deine Tante, Johann. Du warst der Neffe meines Mannes, aber nicht meiner. Also nenne mich nicht Tante. Ich hatte dich übrigens früher erwartet!«
Von Baßy drehte seinen schwarzen Hut, den er in Händen hielt, hin und her und tat beschämt. »Ich bedauere es, dass ich mich nach Melchiors Tod nicht besser um dich gekümmert habe, meine Liebe. Schande über mich, dass du dir fremde Menschen ins Haus holen musstest. Aber das wird sich jetzt ändern. Ich habe bereits alles veranlasst. Du wirst zu mir und meiner lieben Frau Philippa ziehen. Sie bereitet gerade das Zimmer für dich vor. In den nächsten Tagen schon werden wir dich zu uns holen.«
Regina Rehmringer war für einen Augenblick sprachlos. Als sie sich gefasst hatte, fragte sie: »Wie kommst du darauf, dass ich mein Haus verlassen möchte?«
Süffisant lächelnd sagte von Baßy: »Wir haben eine Abmachung getroffen. Sicherlich kannst du dich erinnern, dass du mir das Gestüt abtreten wolltest, Tante«, log er und verzog das Gesicht zu einem breiten Grinsen.
Regina Rehmringer durchschaute seine Absicht und blickte ihn mitleidig an. »Nein, Johann, daran kann ich mich nicht erinnern. Zwar ist es richtig, dass ich mich nach Melchiors Tod mit dem Gedanken befasst habe, den Hof zu veräußern. Der Schreck über den Unfall, die Trauer um meinen verlorenen Sohn hatten mich sehr mitgenommen. Damals habe ich keine Zukunft für das Gestüt gesehen. Deshalb, Johann, habe ich mit dir darüber gesprochen. Aber ich habe dir das Gestüt weder mit Vertrag noch mit Handschlag verkauft, geschweige denn
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