Der Hexenturm: Roman (German Edition)
mit deinem Mann zum Hexentanz getroffen hat und ebenfalls wegen Zauberei verbrannt wurde?«
Barbara Backes blickte erneut nach unten und nickte. »Ich habe sie wohl gekannt, bin aber niemals in ihrer Zaubergesellschaft gewesen. Mit ihren Anschuldigungen kurz vor der Hinrichtung hat die Wollweber Agnes mir großes Unrecht angetan!«
Mit überheblichem Gesichtsausdruck blickte der dickliche Mann seine drei Beisitzer an. Jetzt meldete sich der letzte der vier Männer zu Wort. Sein Gesicht mit den hervorstehenden Augen und den wulstigen Lippen erinnerte an eine Kröte, und seine Stimme klang frostig: »Wer kann Weiteres gegen die Angeklagte vorbringen?«, fragte er die anwesenden Leute und blickte in die Runde. Als sich keiner zu Wort meldete, nahm er ein Schriftstück zur Hand und las laut vor: »Becker Peter! Er trete vor!« Zögerlich kam ein schmächtiger Mann nach vorn und stellte sich mehrere Schritte von der Angeklagten entfernt hin und würdigte sie keines Blicks.
»Du beschuldigst die Angeklagte des Schadenszaubers?«, fragte der Mann mit dem Krötengesicht. Becker nickte und erklärte: »Vor einiger Zeit, als ein Gewitter aufzog, sah ich diese Frau die Straße entlang auf mein Haus zukommen. Aus Furcht, sie wolle sich bei mir unterstellen, schlug ich ihr die Tür vor der Nase zu. Am nächsten Tag schmerzte mich mein Bein!« Der Ankläger wurde angewiesen zurückzutreten.
»Damit wäre die Sachlage klar. Du hast Schadenszauber über den Mann gelegt«, meldete sich der vierte Schöffe erneut zu Wort.
»Er lügt!«, schrie die Frau erregt. »Nichts dergleichen habe ich getan!«
»Gestehe, dass du eine Hexe bist! Erspare dir und uns die peinliche Befragung und gib zu, dass du den Pakt mit dem Teufel geschlossen hast.«
Angsterfüllt riss Barbara Backes die Augen auf und jammerte: »Ich bin unschuldig!« Dann sah sie den dicklichen Mann mit dem roten Gesicht an und sagte mit fester Stimme: »Erst hast du deinen Bruder auf den Scheiterhaufen gebracht, damit du seinen Platz als Schöffe einnehmen kannst. Nun beschuldigst du mich, damit du dir mein Hab und Gut unter den Nagel reißen kannst. Nicht ich habe mich dem Teufel verschworen, sondern du bist der Teufel!« Dann lachte sie laut und bitter auf.
»Seht«, sagte der Angesprochene und wischte sich über das schweißnasse Gesicht. »Sie ist des Wahnsinns. Der Teufel spricht aus ihr!«
Der Mann mit dem Krötengesicht schlug auf den Tisch und brüllte: »Niemand will sich deines Hab und Guts eigennützig bemächtigen. Es ist bekannt, dass jeder, der der Hexerei bezichtigt wird und ein Ermittlungsverfahren heraufbeschwört, für die Verfahrenskosten aufkommen muss – gleichgültig, ob es zum Schuldspruch kommt! Der Ausschuss hat Ausgaben. Das Dorf hat sich verpflichtet, die Ausgaben zu tragen. Freilich nur, wenn die Schuldigen nicht zahlen können. Du kannst zahlen. Du wirst zahlen. Das ganze Dorf will es so.« Unter den Gaffern erhob sich beifälliges Gemurmel. Ein Mann sagte halblaut: »Es wäre ja noch schöner, wenn wir zahlen müssten, solange eine Hexe noch einen Kreuzer hat.«
»Der Ausschuss hat Ausgaben«, sagte das Krötengesicht, offenbar der Vorsitzende des Ausschusses, erneut. »Der Ausschuss muss entschädigt werden.« Dieser Punkt schien ihm besonders wichtig zu sein.
Barnabas stand ein wenig abseits und verfolgte aufmerksam das Geschehen. Die Art der Vorgehensweise bei diesem Hexenprozess war ihm fremd. Wie der Magier heraushören konnte, waren die vier vorsitzenden Männer vom Dorf bestimmt worden, den Verdacht gegen die Angeklagte zu untersuchen. Bislang kannte Barnabas nur die eine Art der Hexenfindung, der er auf dem Eichsfeld in Thüringen beigewohnt hatte. Dort musste eine vermeintliche Hexe zuerst von einer geschädigten Person angezeigt werden, damit der Oberamtmann eine Untersuchung aufnehmen und »ex officio«, von Amts wegen, handeln konnte. Das berechtigte ihn, ein Inquisitionsverfahren einzuleiten, bei dem ein Notar oder Advokat zugegen sein musste, um die Ermittlungen schriftlich festzuhalten.
Wie Barnabas wusste, waren diese Schritte notwendig, um nach der »Constitutio Criminalis Carolina«, besser bekannt als »peinliche Gerichtsordnung«, die Angeklagten auch unter der Folter befragen zu können. Anschließend wurde die Klage bei den Spruchkörpern der juristischen Fakultät eingereicht, wo sie von gelehrten Juristen geprüft wurde. Dies musste eingehalten werden, um zu verhindern, dass den Beamten vor Ort
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