Der Hexenturm: Roman (German Edition)
Bestechlichkeit vorgeworfen werden konnte.
Das alles schien im Land an der Saar keine Bedeutung zu haben. Auch dass die Beschuldigten die Kosten des Ausschusses und des Prozesses tragen mussten, hatte Barnabas nie zuvor gehört. Er erfasste die Lage schnell: All das konnte nur heißen, dass Hexenprozesse hier schneller als in anderen Gegenden durchgeführt werden konnten. Und statt eines beamteten Amtmanns leitete ein Ausschuss letztlich das Verfahren. Eine Handvoll Bauern als Ermittler! Welche Machtposition! Und sogar für diese Ermittlungsarbeit erhielten sie offenbar eine Vergütung. Barnabas war gespannt, wie es weitergehen würde. Er wollte sich nicht als Hexenfinder zu erkennen geben, solange er die Lage in dem ihm fremden Land nicht genau einschätzen konnte.
Als die Frau aufschrie, richtete Barnabas seine ganze Aufmerksamkeit wieder auf die Befragung.
»Ich schwöre bei allen Heiligen, dass der Becker Peter lügt! Warum sollte ich mich bei ihm unterstellen wollen, wo mein Haus nur wenige Schritte neben seinem steht?«
Fragend blickten sich die vier Männer des Ausschusses an. In dem Augenblick, als sie die Köpfe zusammenstecken wollten, um sich zu beraten, trat ein Mädchen, das Barnabas nicht älter als zwölf Jahre schätzte, an den Tisch der Ermittler. Um sie näher betrachten zu können, ging auch der Magier einen Schritt weiter nach vorn.
Das Mädchen hatte ein hellhäutiges Gesicht, das von langen dunklen Haaren umrahmt wurde. Die zahlreichen Sommersprossen auf dem Nasenrücken des Kindes gaben ihm ein liebenswertes Aussehen. Scheinbar scheu hielt das Mädchen den Blick gesenkt, bis der Mann mit dem Krötengesicht es fragte: »Maria, was ist? Möchtest du uns etwas sagen?« Maria nickte zögerlich und sah dann die Angeklagte an.
Barnabas erschrak. Noch nie hatte er bei einem Kind solche Augen gesehen! Rabenschwarze Pupillen blickten voller Hass, Wut, aber auch Boshaftigkeit zu der Beschuldigten Barbara Backes. Die Frau schaute das Mädchen entsetzt an und fragte leise: »Was hast du, Maria?« Mit einem wahnsinnig klingenden Lachen zeigte das Mädchen auf sie und zischte: »Sie hat mich zum Hexensabbat mitgenommen.«
Ein Schrei war zu hören, dann sackte Barbara Backes in sich zusammen. Auch die übrigen Anwesenden im Raum schrien durcheinander. Frauen heulten bei dieser unglaublichen Beschuldigung auf und hielten ihre Kinder eng umschlungen. Stimmen wurden laut, dass Barbara Backes brennen solle. Mehrere Männer stürmten nach vorn und zogen die ohnmächtige Frau an den Haaren auf die Beine, um sie sogleich zum Scheiterhaufen zu schleifen.
Barnabas befürchtete, dass ein Tumult ausbrechen würde, doch da brüllte einer der Vorsitzenden mehrmals, die Anwesenden sollten Ruhe geben. Das aufgebrachte Volk wollte ihn jedoch nicht hören. Im Chor erklangen ihre Stimmen, und sie verlangten, dass die Hexe sterben müsse.
Erst als das Krötengesicht laut drohte, dass noch mehr Menschen brennen würden, wenn nicht endlich Ruhe herrsche, schwiegen die Anwesenden.
Trotz seiner Verwirrung entging Barnabas nicht, dass sich die Männer dieses Ausschusses so herrisch aufführten wie die Beamten des Adels.
Der Vorsitzende mit den eng zusammenstehenden Augen befahl, dass man der Angeklagten Wasser übergießen solle. Mit lautem Platsch landete ein Eimer Wasser in Barbara Backes’ Gesicht. Langsam kam sie zu sich und blickte verängstigt auf. Als man sie aufforderte, sich hinzustellen, knickten ihr die Beine weg. Weinend brach sie erneut zusammen. Die Männer, die sie zuvor in den Raum gezerrt hatten, packten sie unter den Armen und setzten sie grob auf einen Stuhl.
Die Mitglieder des Ausschusses blickten die Angeklagte erbarmungslos an, hatten sie doch soeben eine ungeheure Beschuldigung vernommen.
Nur den Mann mit dem fein geschnittenen Gesicht schien das Ganze nicht zu berühren. Nachdenklich und neugierig betrachtete er das Mädchen, das geistesabwesend mit seinen langen Haaren spielte. Eindringlich, aber mit leiser, freundlicher Stimme fragte er das Kind: »Erzähl uns von dem Hexentanz, Maria!«
Daraufhin blickte das Mädchen den Mann lächelnd an und flüsterte: »Des Nachts hat sie mich aus dem Bett geholt und dorthin gebracht, wo die Hexen sich zum Tanz treffen. Dort hat sie Unzucht mit dem Teufel getrieben.«
»Sie lügt!«, wimmerte Barbara Backes und fragte dann das Mädchen unter Tränen: »Du bist meine Tochter, Maria, warum tust du mir das an?«
Bestürzt blickte Barnabas zu dem
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