Der Hexenturm: Roman (German Edition)
ihm und Barnabas herschlenderte. Immer wieder mussten sie auf das Mädchen warten. Als es erneut trödelte, zischte Servatius Barnabas zu: »Warum hast du uns diese Last aufgebürdet?«
Barnabas hob erstaunt eine Augenbraue. »Ihre Eltern sind tot. Sie hat doch keinen, der sich um sie kümmert.«
»Aber was geht uns das an?«
»Beruhige dich, Servatius. Schließlich haben die Männer des Ausschusses uns dafür entlohnt, dass wir das Mädchen zu uns nehmen.«
»Pah! Schon bald wird das Geld aufgebraucht sein.«
Barnabas’ Augen verengten sich. Nachdenklich betrachtete er den Mönch, was diesen zu beunruhigen schien. Sichtlich unwohl kratzte Servatius sich im Gesicht, am Hals und an den Armen.
Der Blick des Magiers schweifte von dem Mönch zu Maria, die in der Hocke am Wegesrand saß und Regenwürmer aufsammelte. Dann sah er wieder zu Servatius, der das Mädchen mit bösen Blicken bedachte.
»Sag, was du sagen willst, und stiehl mir nicht meine Zeit mit fadenscheinigen Ausreden!«, zischte Barnabas.
Servatius’ Gesichtsausdruck veränderte sich. Leise, damit nur Barnabas es hören konnte, flüsterte er: »Das Kind ist nicht wie wir. Sein Blick ist oft wirr, und es ist fast, als sei ihr Geist dann in unserer Welt nicht mehr gegenwärtig. Manchmal murmelt sie unverständliche Worte, die mich beunruhigen, denn schließlich hat ihre Mutter sie zum Hexensabbat mitgenommen. Wer weiß, ob sie nicht selbst eine Hexe ist, die sich nur verstellt. Auch wissen wir nicht, ob der Teufel nicht schon von ihr Besitz ergriffen hat.«
Barnabas schüttelte den Kopf. »Meinst du nicht, dass du übertreibst, Servatius? Schau sie dir an! Sie ist ein Kind, das allein dasteht und verloren wäre, hätte ich sie nicht zu mir geholt. Außerdem werden ihr die Dämonen in meinem Beisein nichts anhaben können.«
»Bist du dir sicher, Barnabas? Wir wären schon längst viel weiter marschiert, stattdessen trödeln wir hier herum, weil sie nicht voranmacht.« Zornig stampfte Servatius mit dem Fuß auf und brüllte: »Maria, komm sofort hierher!«
Das Mädchen tat, als höre es ihn nicht, und steckte sich die gesammelten Regenwürmer in den Mund. Angewidert blickte Servatius zu Barnabas. »Wozu brauchen wir sie?«, jammerte er.
»Weil sie beim Hexensabbat dabei war und Hexen kennt !« Verständnislos erwiderte der Mönch: »Du bist ein Zauberer, ein Wahrsager, der Hexen erkennen kann! Das Volk vertraut dir und deinen Fähigkeiten. Wozu also das Mädchen? Bring es zurück nach Weierweiler, wo es hingehört.«
Erstaunt erkannte Barnabas, dass sein Begleiter den Sinn seiner Worte nicht begriffen hatte, und schüttelte den Kopf. »Es ist zweierlei, ob man Hexen erkennt oder kennt , Servatius. Natürlich vertraut das einfache Volk einem Zauberer, und auch vor einem Dorfgericht würde man mein Urteil anerkennen. Aber ein gelehrter Richter oder ein studierter Gutachter hingegen würden den Aussagen eines Magiers nur zögerlich zustimmen. Das Kind jedoch kennt Hexen, schlicht, weil es sie beim Hexentanz gesehen hat. Das, was Maria zu sagen hat, wird von jedem Gericht anerkannt werden, denn sie ist unfreiwillig beim Hexensabbat gewesen, wohin ihre Mutter sie gegen ihren Willen mitgenommen hatte. Sie ist ein unschuldiges Wesen.« Barnabas hielt für einen Moment inne und blickte zu Maria. Dann sprach er leise weiter: »Keiner wird es wagen, ihr ›Kennen‹ und mein ›Erkennen‹ anzuzweifeln. Wir werden uns gegenseitig in unseren Fähigkeiten ergänzen, und unser Ruf wird uns vorauseilen. Man wird nach uns schicken, uns verehren und uns fürstlich entlohnen. Zusammen werden wir übermächtig und unangreifbar sein!« Mit glänzenden Augen betrachtete Barnabas das Kind, das langsam auf sie zutrottete.
Servatius verstand nun endlich die Absicht des Magiers und schaute entsetzt auf. »Aber wie willst du ihren Wahnsinn lenken? Was ist, wenn er um sich greift, und wir ebenfalls davon befallen werden?«
»Mach dir darüber keine Sorgen, ich weiß, was ich tue!«
»Und welchen Platz gestehst du mir dabei zu?«
Mit ernstem Blick betrachtete Barnabas seinen Weggefährten. »Das wird sich zeigen.«
Servatius fürchtete sich für gewöhnlich vor nichts und niemandem. Das hatte er zumindest bislang gedacht. Doch das änderte sich schlagartig an dem Tag, als die kleine Maria in sein Leben trat. Er erkannte die Veränderung nicht gleich, da seine Aufmerksamkeit in Weierweiler dem Hexenprozess und der Folter gegolten hatte. Zwar war er überrascht
Weitere Kostenlose Bücher