Der Hexenturm: Roman (German Edition)
gewesen, dass ein Kind seine eigene Mutter anklagte, statt sie zu retten, aber er hatte weder das Mädchen beachtet noch einen Gedanken an seine merkwürdige Anklage verschwendet.
Als Barbara Backes’ Leiche brannte und sich unter den Flammen veränderte, hatte das Servatius mehr Wonne bereitet, als dem Gespräch zwischen Barnabas und dem Ausschuss zu lauschen. Auch versäumte er später, Barnabas danach zu fragen. Als der Magier dann am darauffolgenden Tag zum Aufbruch mahnte und plötzlich Maria neben ihnen stand, war Servatius überrascht gewesen. Auf seine Frage, warum das Mädchen sie begleiten würde, hatte der Magier Servatius ein Säckchen Geld vor die Nase gehalten und erklärt: »Der Ausschuss hat es sich einiges kosten lassen, dass sie mit uns kommen darf.«
»Wie viel ist es?«, hatte Servatius sogleich gierig gefragt. Barnabas hatte mit den Schultern gezuckt. »Im Land an der Saar haben sie eine andere Währung. Sie nennen sie Franken und Groschen, und es fühlt sich viel an.« Servatius schwieg. Obwohl das Kind unauffällig schien, spürte er den Drang, es ständig zu beobachten, und was er sah, gefiel ihm nicht.
Seine Abneigung gegenüber Maria wuchs mit jedem Schritt. Nicht nur, dass sie wegen ihres Trödelns Zeit verloren, auch spürte der Mönch ein ungutes Gefühl in sich aufkeimen, das immer bedrückender wurde, als er bemerkte, wie Maria ihn immer öfter anstarrte. Selbst wenn sie hinter ihm ging, glaubte er ihren Blick zu spüren, der wie Nadeln seinen Körper durchbohrte und ihm Angstschauer über den Rücken jagte. Servatius wusste nicht, wovor er sich fürchtete, schließlich war Maria ein Kind, aber dennoch schien sie ihm unberechenbar.
Wenn er das Mädchen betrachtete, gruselte ihm bei seinem Anblick. Marias lange dunkle Haare, die ihr blasswangiges Gesicht umrahmten und sie totenbleich erscheinen ließen, hatten ebenso wie ihre pechschwarzen Augen etwas Unheimliches an sich. Trotz der vielen Sommersprossen erinnerte Maria den Mönch an einen Raben … an den Vogel, der als Todesbote galt. Bei diesem Gedanken erbebte er innerlich. Auch jetzt sah der sich wieder vorsichtig nach ihr um.
»Wenn wir uns weiterhin wie Schnecken fortbewegen, werden wir nie mehr ankommen«, schimpfte Servatius. Belustigt fragte Barnabas: »Wohin zieht es dich denn, dass du es so eilig hast?«
Der Mönch zuckte mit den Schultern und blickte suchend um sich. »Nirgendwohin, denn so weit ich sehen kann, liegt keine Ortschaft vor uns. Und da wir nur kriechend vorwärtskommen, werden wir heute auch keine mehr erreichen und im Freien nächtigen müssen.«
»Das haben wir doch schon oft getan«, versuchte Barnabas den Mönch zu besänftigen.
»Aber nicht bei dieser Kälte! Wir können uns glücklich schätzen, dass es nicht auch noch regnet.«
Es kam, wie Servatius vorhergesagt hatte. Als sich langsam die Dunkelheit über das Land legte, waren sie an keiner Stadt und keinem Dorf angelangt. So mussten sie sich im Wald ein Lager herrichten.
Barnabas schmerzten die Glieder, so dass er sogleich ein Feuer entfachte und Wasser für einen Sud erhitzte. Maria und Servatius schickte er fort, um Laub zusammenzuraffen, damit er nicht auf hartem Boden schlafen musste.
»Schaut, ob ihr weiche Tannenzweige findet. Auf ihnen liege ich besonders gut.«
Servatius ging mit großen Schritten tiefer ins Gehölz hinein in der Hoffnung, dass Maria ihm nicht folgen würde. Doch so langsam sie am Tag getrödelt hatte, so schnell eilte sie nun hinter ihm her.
»Wärst du vorhin so hurtig gewesen, bräuchten wir jetzt nicht in der Dunkelheit im Wald umherzulaufen und Laub zu sammeln. Dann wären wir sicherlich längst in einem Dorf oder einer Stadt und könnten auf weichen Federn liegen!«, keifte Servatius, während er sich suchend nach Tannenzweigen umblickte. Das Mädchen tat auch dieses Mal wieder, als habe es ihn nicht gehört, und erwiderte kein Wort.
Endlich entdeckte der Mönch zwischen einigen Buchen eine Ansammlung von Tannen. Hastig riss er die jungen Triebe vom Stamm und wollte mit den Ästen unterm Arm zurück zum Lager, als das Mädchen plötzlich schrie: »Halt!«
Wie versteinert blieb Servatius stehen. »Was ist? Ein Untier?«
Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, wie Maria den Kopf schüttelte. »Nein, kein Untier. Du wärst beinahe auf den Irrwurz getreten!«
Langsam erwachte Servatius aus seiner Erstarrung und drehte sich zu ihr um. »Was ist ein Irrwurz?«, presste er zwischen den Zähnen
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