Der Hexer - GK583 - Im Schatten der Bestie
Stunde um Stunde, wie es mir vorgekommen war, bis Mahoney seine Uhr gezogen und verkündet hatte, daß draußen die Sonne untergegangen war und es nun Zeit sei, loszugehen. Ich hatte ein paarmal versucht, mit ihm zu reden und mehr über ihn in Erfahrung zu bringen, aber er hatte mir stets nur ausweichend oder gar nicht geantwortet. Irgendwann hatte ich aufgegeben. Aber meine Lage gefiel mir mit jedem Augenblick weniger. Es war nicht sehr erbaulich, auf Gedeih und Verderb einem Mann ausgeliefert zu sein, von dem man nichts wußte als seinen Namen.
Seitdem tasteten wir uns durch den Gang. Ich hatte vergeblich versucht, mich darauf zu besinnen, wie weit die Kirche vom Hafen entfernt war – ich hatte nicht viel von Durness gesehen; eigentlich nur das, was vom Fenster meines Hotelzimmers aus sichtbar war – aber nach meiner Schätzung mußten es mindestens zwei Meilen sein, wenn nicht mehr. Wenn der Tunnel wirklich noch aus der Zeit der Wikinger stammte, dann hatten die Menschen damals eine erstaunliche Leistung vollbracht.
Der Gedanke führte einen anderen, weniger angenehmen im Geleit: Wenn der Tunnel wirklich so alt war, dann war das, was Mahoney und ich hier taten, mehr als nur lebensgefährlich. Wir waren immer wieder an Stellen vorbeigekommen, an denen die Decke oder Teile der Seitenwände eingebrochen waren, und mehr als nur einmal hatten wir uns mit bloßer Gewalt Durchgang verschafft. Dabei reichte hier unten wahrscheinlich ein Husten im falschen Moment, das ganze baufällige Gewölbe einstürzen zu lassen ...
Ich verscheuchte die Vorstellung und konzentrierte mich ganz auf die Geräusche, die ich vor mir hörte. Es war stockdunkel hier unten, und obwohl Mahoney eine Lampe aus dem Kirchenkeller mitgenommen hatte, wagten wir es nicht, Licht zu machen. Aber ich konnte mich ganz gut an den Geräuschen seiner Schritte und seinen Atemzügen orientieren.
Mahoney blieb plötzlich stehen und berührte mich an der Schulter. »Wir sind fast da«, sagte er. »Noch alles okay?«
Ich nickte, ehe mir einfiel, daß er die Bewegung ja im Dunkeln nicht sehen konnte. »Ja«, sagte ich. »Wenn ich hier bald rauskomme, schon. Ich fühle mich, als wäre ich lebendig begraben.«
Mahoney lachte leise. »Wir haben es gleich überstanden. Vor uns ist die Treppe.« Er schwieg einen Moment, und ich hörte, wie er sich hin und her bewegte und Steine und herabgestürzte Balken aus dem Weg räumte. »Das beste ist, ich gehe erst einmal allein nach oben und sehe nach, ob Lovecraft und sein Diener schon da sind.«
»Er wird da sein«, sagte ich. Meine Stimme klang fast
zu überzeugt. In Wahrheit hatte ich keine Ahnung, ob der Portier meine Botschaft wirklich ausgerichtet hatte. Ich hatte einfach nur Angst, allein hier unten zurückzubleiben. Panische Angst.
»Vielleicht haben Sie recht, Robert«, murmelte Mahoney. »Und selbst wenn nicht, müssen wir alleine handeln. Kommen Sie.«
Ich streckte die Hand aus, fühlte im Dunkeln den Stoff seiner Jacke und hielt ihn mit einem unnötig harten Ruck zurück. »Was ist, wenn ... wenn der Mond scheint?« fragte ich.
»Tut er nicht. Es ist Neumond«, antwortete Mahoney. »Außerdem ist das Unwetter noch lange nicht vorüber. Hören Sie den Donner nicht?«
Ich lauschte angestrengt, aber alles, was ich hörte, war das dumpfe Hämmern meines eigenen Herzens.
Mahoney mußte über ein schärferes Gehör verfügen als ich. »Nein«, sagte ich.
»Ist aber so«, behauptete er. »Und jetzt kommen Sie. Wir haben keine Zeit.« Er löste meine Hand von seinem Arm, boxte mich aufmunternd in die Rippen und lief los. Ich hörte seine Schritte auf dem Stein der Treppe, tastete vorsichtig mit dem Fuß nach der untersten Stufe und folgte ihm, die Hände wie ein Blinder tastend nach vorne ausgestreckt.
Trotzdem rannte ich von hinten gegen ihn und wäre wahrscheinlich rücklings die Treppe heruntergefallen, wenn er nicht gedankenschnell zugegriffen und mich festgehalten hätte. Plötzlich konnte ich ihn wieder sehen, wenn auch nur als schwarzen, tiefenlosen Schatten vor einem dunkelgrauen Hintergrund. Der Stollen setzte sich vor uns fort, aber er war jetzt nur noch einen knappen Meter hoch. An seinem Ende schimmerte Licht. »Still jetzt«, zischte er. »Und immer schön hinter mir bleiben – klar?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, ließ er sich auf die Knie sinken und kroch weiter. Ich folgte ihm.
Der Gang führte steil nach oben, und der Boden bestand jetzt nicht mehr aus Stein, sondern aus aufgeweichtem
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