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Der Hexer - NR09 - Das Mädchen aus dem Zwischenreich

Der Hexer - NR09 - Das Mädchen aus dem Zwischenreich

Titel: Der Hexer - NR09 - Das Mädchen aus dem Zwischenreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verschiedene
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geschlossenen Augen wie eine Betende, am Kopfende eines geöffneten Grabes. Die Männer hatten sich auf den drei anderen Seiten der rechteckigen Grube postiert und schienen zu warten; worauf, wußte Kilian nicht.
    Die Zeit verging, ohne daß sich einer der vier rührte. Allmählich wurde es heller, und er konnte mehr Einzelheiten erkennen. Die vier Menschen waren nicht allein. Überall auf dem Boden rings um das geöffnete Grab bewegten sich kleine graubraune Körper, und mit dem Rascheln des Windes wehte ein leises, helles Wispern heran.
    Kilians Gesicht verzog sich zu einem dünnen, blödsinnigen Lächeln. Ein Speichelfaden lief aus seinem Mundwinkel und tropfte zu Boden; er merkte es nicht einmal. Der Blick seiner alten, trüb gewordenen Augen wandte sich in den Himmel und suchte den Mond, der jetzt nur noch als blasser Schemen hinter den Wolken sichtbar war; schon fast hinter dem Horizont verschwunden. »Jaja«, kicherte er. »Morgen ist Vollmond, nicht wahr? Ihr grauen Herren wißt schon, was das bedeutet.«
    Wie zur Antwort raschelte es jetzt auch neben ihm, und als Kilian zur Seite sah, erkannte er eine handlange, graubraun gestreifte Ratte, die auf lautlosen Pfoten herangehuscht war und ihn anstarrte. Der Blick ihrer schwarzen Knopfaugen war nicht der eines Tieres. Kilian erkannte die böse, lauernde Intelligenz, die hinter diesem Blick lag. Und er verstand die Botschaft, die ihm die Ratte mitteilte. Es war keine Telepathie oder sonst irgendeine Art der Kommunikation, die die Menschen kannten, sondern ein blitzartiges, unerklärliches Austauschen von Wissen. Kilian wußte einfach, was die Ratte ihm sagen wollte. Und er begriff den Ernst dieser letzten Warnung.
    »Ist gut, ist gut«, sagte er, unablässig nickend. »Kilian geht. Ihr grauen Herren braucht keine Angst zu haben, daß er sich in eure Angelegenheiten mischt. Und er wird auch den anderen nichts sagen.«
    Der alte Säufer kicherte noch einmal blödsinnig, dann kämpfte er sich den Weg, den er durch den Dornenbusch gekommen war, zurück, stieg prustend und schnaubend über die Mauer und verschwand in der Dämmerung.
    Die Ratte sah ihm nach, als hätte sie seine Worte verstanden.

    * * *

    »Hört denn dieser Wahnsinn niemals auf?« murmelte ich mit bebender Stimme.
    »Nein«, antwortete Howard. Er klang bedrückt; sein Gesicht war grau vor Sorge. »Das kann es nicht, Robert«, sagte er mit großem Ernst. »Dann wäre nämlich die Serie zu Ende, und wir zwei würden arbeitslos. Das Stempelgeld für abgetakelte Geisterjäger ist miserabel, das kann ich dir sagen.« (Ein kleiner Scherz des Autors. Der Red.)
    Ich starrte ihn irritiert an, dann zuckte ich resignierend mit den Schultern und wandte mich wieder der Handlung zu. Howard hatte – wie immer – recht.
    Vor den Fenstern kroch graue Dämmerung in die Nacht, aber wir saßen noch immer beieinander; keiner von uns hatte auch nur einen Gedanken daran verschwendet, sich zurückzuziehen oder gar Schlaf finden zu wollen. Es war fünf – eine Zeit, zu der ich normalerweise zu Bett ging und gewisse abartig veranlagte Menschen bereits wieder aufstanden – und wir hatten den Rest der Nacht damit verbracht, die toten Ratten zu beseitigen und wenigstens wieder einigermaßen Ordnung zu schaffen. Nicht, daß es uns gelungen wäre. Der Aasgestank würde sich noch monatelang in Tapeten und Vorhängen halten, und überall auf dem Teppich waren dunkle Flecken zurückgeblieben. Aber wir hatten wenigstens die Rattenkadaver beseitigt, und wir hatten sogar das Kunststück fertiggebracht, dies zu tun, ohne die Dienerschaft dabei aufzuwecken. Die Männer und Frauen, die in meinem Dienst standen, waren zwar Absonderliches gewöhnt, aber ein paar hundert verstümmelter Ratten, die aus dem Nichts in meiner Bibliothek auftauchten, gehörten nun doch nicht dazu.
    Mit zitternden Händen griff ich nach meiner Tasse mit längst kalt gewordenem Kaffee, trank einen Schluck und stellte sie mit einem übertrieben kräftigen Ruck wieder ab, als Howard sich die wahrscheinlich fünfzigste Zigarre während dieser Nacht anzündete. Er hatte argumentiert, daß der Tabaksgeruch den Aasgestank überdeckte – was nicht stimmte, es roch jetzt zwar nicht mehr nach Aas, sondern nach verbranntem Aas – aber ich hatte mich trotzdem geschlagen gegeben.
    »Ich versteh dat nich«, murmelte Rowlf. »Du has doch gesacht, daß dat Tor nich mehr geht. Der Lausdreck –«
    »De Laurec«, verbesserte ihn Howard müde, aber Rowlf fuhr unbeirrt fort:

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