Der Hexer - NR09 - Das Mädchen aus dem Zwischenreich
bog sich das dünne Holzlineal durch, obwohl die Tür jetzt frei war. Howards Gesicht verzerrte sich, während er gegen den unsichtbaren Widerstand ankämpfte, aber das einzige Ergebnis war, daß sich das Lineal noch weiter durchbog und schließlich splitternd zerbrach.
Mit einem unterdrückten Fluch richtete sich Howard auf, stieß ein paar tote Ratten mit dem Fuß zur Seite und legte beide Hände auf die Tür. Er tat es sehr behutsam, so, als erwarte er, daß irgend etwas Schreckliches geschähe. Aber es Passierte nichts, und nach einer weiteren Sekunde des Zögerns stemmte sich Howard mit mehr Kraft gegen die Tür und versuchte sie schließlich mit der Schulter zuzudrücken.
Es gelang ihm erst, als Rowlf und schließlich auch ich neben ihn traten und ihm halfen, und selbst zu dritt hatten wir alle Mühe, die Uhr zu schließen. Es war nicht so, als müßten wir wirklich gegen einen fühlbaren Widerstand ankämpfen; vielmehr schien sich die Tür selbst mit aller Gewalt gegen unseren Druck zu stemmen, und als das kleine Messingschloß schließlich einrastete, hörte es sich fast an wie ein leises Stöhnen.
Keiner von uns sprach es aus, aber als ich in die Gesichter der beiden anderen blickte, sah ich, daß sie so froh waren wie ich, den Anblick dieses lebenden Korridors nicht mehr ertragen zu müssen.
Howard wandte sich wieder um, ging erneut in die Hocke und hob schließlich einen der kleinen Nager am Schwanz in die Höhe.
»Schau dir das an«, sagte er nur.
Widerwillig ließ ich mich neben ihm in die Hocke sinken, schluckte bitteren Speichel herunter und versuchte mich innerlich gegen den Anblick zu wappnen.
Es war schauderhaft. Die Ratte war tot, aber jetzt, nachdem ich mich zwang, den Anblick zu ertragen, sah ich auch, daß sie nicht an ihren Verletzungen verendet war.
Sie war nämlich nicht verletzt.
Der Kadaver wies keinerlei äußerliche Wunden auf. Was ich dafür gehalten hatte, waren in Wirklichkeit große, glitzernde Stellen, an denen das Fell nach innen gewachsen zu sein schien, und auch die vermeintlich zerbrochenen Glieder waren so gewachsen!
Und endlich begriff ich. Nicht eines der zahllosen Tiere, die hier bei uns im Raum waren, war gewaltsam ums Leben gekommen. Es war eine Armee grausiger Mißgeburten, die durch das Tor im Innern der Uhr gekommen war...
* * *
Vom Meer her wehten immer noch Kälte und feine Regenschleier heran, und durch die Wolken, die so tief über dem Land hingen, als drücke sie eine unsichtbare Riesenhand auf die Erde herab, sickerte das erste zaghafte Grau der Dämmerung. Blasse Nebelschleier stiegen wie zitternde Geisterhände aus dem Boden, und irgendwo, sehr weit draußen auf dem Meer, erklang der klagende Laut eines Nebelhornes.
Kilian hatte nicht gut geschlafen. Er hatte es nicht gewagt, in die Stadt zurückzugehen, und so hatte er sich bis weit nach Mitternacht in der Nähe des Friedhofes herumgetrieben, ehe er schließlich im Schutze einer uralten Ulme eingeschlafen war.
Kurz vor Morgengrauen hatten ihn Stimmen geweckt.
Kilian war ein alter Mann, der nicht mehr so viel Zeit zu verlieren hatte, als daß er wirklich Angst haben, mußte, zu sterben. Aber die Erfahrungen seines Lebens als Sonderling und Trinker hatten ihn vorsichtig werden lassen; er war wie ein Tier, das instinktiv an Flucht denkt, ehe es sein Bewußtsein einschaltete, und so hatte er sich beim ersten Laut verkrochen und gewartet, bis die Schritte verklungen und die Schatten wieder in der Nacht verschwunden waren.
Dann war er ihnen gefolgt.
Es waren vier! Drei Männer aus St. Aimes und eine junge Frau, die er noch nie gesehen hatte und die sonderbare Kleidung trug und ab und zu in einer Sprache mit den dreien sprach, die Kilian nicht verstand, deren absurder Klang aber irgend etwas in ihm anrührte und zu Eis erstarren ließ.
Die vier hatten den Friedhof betreten und waren zwischen den Grabsteinen verschwunden, aber wieder hatte Kilian es nicht gewagt, ihnen direkt zu folgen. Er war statt dessen außen um den Friedhof herumgegangen und hatte ihn an einer Stelle betreten, von der er wußte, daß ihm hinter der Mauer wachsendes verwildertes Buschwerk Deckung gewähren würde. Jetzt lag er, mit angehaltenem Atem und vor Erregung klopfendem Herzen, im Schutze der dornigen Sträucher und spähte zu den vier Gestalten hinüber.
Das noch blasse Licht des Morgens enthüllte einen unheimlichen Anblick. Das Mädchen hatte seinen Mantel abgestreift und stand, mit hoch erhobenen Armen und
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