Der Hexer - NR37 - In der Festung des Dschinn
Spiegel – die Farbe der fingerdicken Bleiplatten, die sie bedeckten. In seiner Mitte erhob sich ein schmuckloser, ebenfalls bleiverkleideter Quader von halber Manneshöhe.
Auf seiner Oberfläche lag das, was zu holen sie gekommen waren.
Es sah vollkommen harmlos aus: eine kleine, staubige Flasche, die in ein kunstvolles Geflecht aus haardünnen Bleidrähten eingesponnen war, versehen mit einem roten Siegel, unter dessen Farbe sich ebenfalls Blei verbarg. Aber Guillaumes Herz begann zum Zerreißen zu hämmern, als er danach griff.
Diesmal wußte er, was sie erwartete. Trotzdem war der Schrecken so entsetzlich wie beim ersten Mal, denn es war eine Art von Angst, an die man sich nicht gewöhnen konnte, und die nichts von ihrem Schrecken verlor, so oft er ihr ausgesetzt war.
Ein sanftes, hellblaues Licht glomm im Inneren der Flasche auf, und für einen Moment glaubte Guillaume, den verschwommenen Umriß eines winzigen menschlichen Körpers zu erblicken, war sich aber nicht sicher. Dann erlosch das Leuchten, und die Flasche war wieder eine Flasche und sonst nichts.
Und im gleichen Augenblick hörte er die Stimme.
Ich stehe euch zu Diensten, meine Meister...
* * *
Meine erste Schätzung war falsch gewesen. Es waren nicht vier- oder fünfhundert Beduinen, die wie ein schwarzer Sturm aus der Wüste herangeprescht kamen, sondern mindestens tausend, und es war kein gröhlender Haufen aufgeputschter Fanatiker, sondern eine Armee!
Trotzdem hätte ich im Normalfalle jede Wette auf Trouwnes Highlander gehalten, denn trotz ihres manchmal lächerlichen Auftretens verbarg sich hinter ihrer Fassade doch eine der am besten ausgebildeten Truppen der Welt; das Heer, auf dessen Schlagkraft letztendlich die Größe des britischen Empire fußte. Ein Verhältnis eins zu zehn hätte ein Mann wie McFarlane oder Trouwne normalerweise wohl als unfair bezeichnet – den Arabern gegenüber.
So warteten die Männer zwar angespannt, aber nicht ernsthaft besorgt darauf, die erste Salve abfeuern zu können.
Wahrscheinlich war ich der einzige, der den viel gefährlicheren, unsichtbaren Gegner spürte, der mit den Beduinen heranraste wie eine unsichtbare Walze. Es war etwas Finsteres, Böses, ein dumpfer Druck, der sich auf meine Seele legte und irgend etwas in mir zum Erstarren brachte. Mein Warnschrei ging im Höllenlärm der heranrasenden Reiterhorde unter. Und selbst, wenn Trouwne ihn gehört hätte, er hätte mir kaum geglaubt.
Und er hätte auch nicht mehr viel genutzt.
Trouwnes Männer feuerten, als die Beduinen noch fünfzig Yards entfernt waren. Ein orangeroter Zaun aus Mündungsflammen schlug den Reitern entgegen, und das Krachen der Salve klang wie ein einziger, dutzendfach nachhallender Peitschenhieb.
Eine halbe Sekunde später zerbarst die Front der Reiter, als wäre sie gegen eine unsichtbare Mauer geprallt. Pferde und Kamele bäumten sich auf, Männer stürzten aus den Sätteln, und aus dem johlenden Kriegsgeschrei der Araber wurde ein Chor entsetzter, gepeinigter Stimmen, in dem Mensch und Tier durcheinanderschrien. Viele der Reiter stürzten, von den Kugeln der Highlander getroffen oder von ihren scheuenden Tieren abgeworfen, und die nachdrängenden Krieger vergrößerten das Chaos noch, denn kaum einem gelang es, sein Tier rechtzeitig herum- oder zurückzureißen.
Die zweite Salve machte das Chaos komplett. Die gewaltige Front der Beduinenreiter verwandelte sich in ein tobendes Knäuel aus in- und übereinanderstürzenden Menschen- und Tierleibern.
»Uuuuuuuuuuuund – Feuer!« brüllte McFarlane über das Crescendo hinweg.
Es waren die letzten Worte, die ich je von ihm hörte.
Ich spürte es, den Bruchteil einer Sekunde, ehe es heran war: eine Woge finsterer Angst, die im gleichen Tempo wie die Reiter zuvor heranraste und die Highlander erreichte, eine halbe Sekunde, ehe sie Gelegenheit hatten, die dritte Salve auf die Angreifer zu feuern. Rein instinktiv schirmte ich meinen Geist ab, ohne selbst zu wissen, wie, und taumelte ein paar Schritte zurück. Ich spürte, wie die unsichtbare Macht über mich hinwegschwappte, ohne den geistigen Schirm, den ich errichtet hatte, durchdringen zu können.
McFarlane und seine Männer hatten diesen Schutz nicht.
Es war reine Panik, die sie ergriff, eine ungeheuer starke Angst, die keinen Grund brauchte, aber dafür um so schrecklicher unter den Soldaten wütete. Ich sah, wie die vorderste Reihe der Soldaten, die niedergekniet waren, um ihre Gewehre neu zu laden, wie von einer
Weitere Kostenlose Bücher