Der Hexer - NR38 - Das Auge des Satans
anderthalb Tagesritte bis zu seiner Festung!« keuchte Renard.
Guillaume nickte. »Ich weiß.« Er richtete sich im Sattel auf, atmete hörbar ein und wischte sich mit der Linken den Schweiß von der Stirn. Er hatte Durst, aber er widerstand der Versuchung, zu seinem Wasserschlauch zu greifen. Der Weg, der vor ihnen lag, war weit.
»Um so weniger Zeit haben wir zu verlieren«, sagte er nach einer Weile. »Komm, Bruder. Ich habe Nizar ein Versprechen gegeben, und ich möchte nicht zu spät kommen, um es einzulösen.«
Renard wollte widersprechen, aber Guillaume gab ihm keine Gelegenheit dazu!
* * *
Irgendwann hatte ich den Eindruck, daß das Toben des Sturmes ein wenig nachließ. Der Felsen, hinter dem wir Schutz gesucht hatten, zitterte noch immer wie unter den Faustschlägen eines unsichtbaren Riesen, aber der Himmel, zu dem ich nur dann und wann einen hastigen Blick hinaufzuwerfen wagte, war nicht mehr schwarz, sondern von der gleichen bleigrauen, stumpfen Färbung, wie unmittelbar, bevor der Sturm losgebrochen war.
Ich sah meine Begleiter schemenhaft neben mir auftauchen, hörte Alis Stimme, die Letitia Mut zusprach, und das krampfhafte Schluchzen, mit dem sie antwortete.
Der Felsspalt, in dem wir Zuflucht gesucht hatten, war zur Hälfte mit Sand zugeweht, und dann und wann trug der Sturm kleine Felssplitter und Steine heran, um sie wie winzige Geschosse nach uns zu schleudern. Einmal stoben Funken aus dem Felsen dicht vor meinem Gesicht, als eine dieser steinernen Granaten dicht neben mir einschlug, und ein anderes Mal verspürte ich einen jähen, stechenden Schmerz zwischen den Schulterblättern. Auch Ali, der sich wie ich zusammengerollt hatte, dabei aber noch versuchte, Letitia mit seinem Körper zu decken, wurde immer wieder getroffen. Wenn dieser Sturm noch lange anhielt, dann würden wir regelrecht gesteinigt werden.
Aber wir hatten Glück; wenigstens dieses eine Mal noch. Das ungeheuerliche Brüllen und Toben der Naturgewalten ebbte allmählich ab, und der Himmel klarte weiter auf.
Der Sturm brüllte ein letztes Mal auf, überschüttete uns mit einem Sturzbach aus Sand und Steintrümmern und ebbte endgültig ab. Von einer Sekunde auf die andere wurde es heiß, so unerträglich heiß, daß mir der Schweiß in Strömen über den Rücken lief.
Mühsam richtete ich mich auf und überzeugte mich mit einem raschen Blick davon, daß ich nicht ernsthaft verletzt war. Denn kroch ich die paar Schritte zu Ali und beugte mich über ihn.
Der junge Wüstenprinz sah übel aus. Sein Gesicht war blutig, und in seinen Augen stand ein fiebriger Glanz. Aber er war bei Bewußtsein, und obwohl er starke Schmerzen leiden mußte, wehrte er meine Hilfe mit einem entschiedenen Kopfschütteln ab und stemmte sich stöhnend in die Höhe, um nach Letitia zu sehen.
Das Mädchen schluchzte ununterbrochen. Sie schien seine beruhigenden Worte überhaupt nicht zu hören, und als er sie an der Schulter berührte und in die Höhe ziehen wollte, schrie sie auf, schlug nach ihm und kroch so weit davon, wie es der Felsspalt zuließ. Ihr Blick flackerte. Der Ausdruck in ihren Augen erinnerte mich an den einer Wahnsinnigen.
Ich beugte mich herab, schob Ali sanft beiseite und packte Letitias Hände. Ihr Schreien wurde zu einem hysterischen Kreischen. Sie trat nach mir. Es gelang mir nur mit größer Anstrengung, sie überhaupt zu halten.
»Tu ihr nicht weh, Giaur«, sagte Ali hinter mir. Seine Stimme klang so besorgt, als hielte ich sein eigenes Kind in den Armen.
»Keine Sorge«, antwortete ich. »Ich bin ganz vorsichtig.« Dann ließ ich ihre Hände los, holte aus und versetzte Letitia eine schallende Ohrfeige.
Ali brüllte, als hätte ich ihn geschlagen, sprang in die Höhe und hob die Fäuste, beherrschte sich dann aber im letzten Moment, als er sah, wie Letitia urplötzlich verstummte.
»Alles wieder in Ordnung«, fragte ich leise.
Letitia starrte mich an, zog hörbar die Nase hoch und tastete mit den Fingerspitzen nach ihrer Wange. Meine Finger hatten eine deutliche rote Spur darauf hinterlassen.
»Es... es geht wieder«, schnüffelte sie. »Verzeihen Sie, daß ich die Beherrschung verloren habe. Es war... es war so entsetzlich.«
»Schon gut.« Ich lächelte erneut, ging vor ihr in die Hocke und streckte ihr die Hand entgegen. Letitia zögerte einen Moment, danach zu greifen, stand unsicher auf – warf sich mir schluchzend an den Hals.
»Ist es vorbei?« wimmerte sie. »Sagen Sie mir, daß es vorbei ist, Robert, ich
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