Der Hexer - NR47 - Stadt der bösen Träume
Straßenseite eindrang. Nach kaum einer halben Stunde war ich überzeugt, daß es nirgendwo in der Stadt anders aussah. Die Bauwerke waren nichts weiter als eine zwar prachtvolle und wunderbar anzusehende, aber nichtsdestotrotz leere Fassade.
Es hätte mir schon früher auffallen müssen. Nicht nur, daß sich nicht ein einziger Mensch (oder was auch immer für ein Wesen) auf den Straßen zeigte, fand ich auch nirgendwo die geringsten Spuren einer Zivilisation. Die Stadt war nicht einmal tot, denn nur was einmal gelebt hatte, konnte auch sterben. Sie war lediglich ein unbewohnter Kokon, zu nichts anderem geschaffen, als nach außen hin schön zu wirken. Oder?
Ich unterdrückte den Gedanken sofort wieder. Mit solchen Grübeleien lenkte ich mich nur selbst von möglichen Gefahren ab. Am sinnvollsten war es wohl, mir erst einmal einen Überblick über die Stadt zu verschaffen.
Nicht weit von mir entfernt stand ein Gebäude, das in einen hochaufragenden Turm überging. Entschlossen machte ich mich an den Aufstieg.
Einige hundert Treppenstufen weiter war ich schon nicht mehr so entschlossen. Meine Füße schmerzten, und jede Stufe schien höher als die vorherige zu sein. Die Welt reduzierte sich für mich auf die Stufen und Wände des engen Schachtes. Seltsamerweise war es auch hier hell, obwohl die Wände immer noch undurchsichtig waren.
Endlich, nach quälend langen Stunden, in denen ich mir mehr als einmal die Frage gestellt hatte, ob diese Treppe überhaupt jemals irgendwo enden würde, erreichte ich eine schmale Plattform an der Spitze des Turmes.
Bislang hatte ich mich immer für schwindelfrei gehalten. Nun erkannte ich, daß es auch in dieser Hinsicht für jeden Menschen eine Grenze seiner Unempfindlichkeit gibt. Meine wurde hier um ein gutes Stück überschritten.
Es war bei weitem nicht der einzige Turm, der diese Höhe erreichte, nicht einmal der höchste. Dutzende, wenn nicht gar hunderte ähnlicher Gebilde ragten um mich herum auf. Ein Großteil der Gebäude aber schien sich unter mir winzig wie Spielzeughäuser flach an den Boden zu pressen.
Ich glaubte jeden Luftzug wie eine Orkanböe zu spüren. Der Turm schien unter mir zu vibrieren und im Wind hin und her zu schwingen, und jede Bewegung des Gerüstes übertrug sich vielfach verstärkt auf meinen Körper. Mit dem rein gefühlsmäßigen Teil meines Unterbewußtseins, gegen den jede logische Überlegung machtlos war, bildete ich mir ein, das ganze Gerüst würde sich vornüber neigen und müßte jeden Augenblick abknicken oder in sich zusammenbrechen. Himmel und Erde verschmolzen in immer schnelleren Drehungen um mich herum. Minutenlang mußte ich die Augen schließen, um das Schwindelgefühl zurückzudrängen. Es half nicht viel, denn immer noch spürte ich die Schwingungen des gläsernen Materials unter meinen Füßen.
Schließlich zwang ich mich, die Augen wieder zu öffnen. Obschon ich den Anblick nur wenige Sekunden zu ertragen vermochte, reichte es aus, mir deutlich zu machen, wie verworren die ganze Anlage der Stadt wirklich war. Sie schien jeder geometrischen Form Hohn zu sprechen. Die Straßen und Gassen verliefen nicht gerade, sondern in vielfachen Windungen, und gabelten sich unzählige Male. Wenn ich weiterhin nur blindlings vorwärts irrte, konnte ich mich stundenlang im Kreis bewegen, ohne es überhaupt zu merken. Um den Überblick über das labyrinthartige Gewirr zu behalten, hätte ich schon die Flügel einer El-o-hym benötigt.
Im nächsten Augenblick flossen die Konturen der Gebäude ineinander, und bevor das Schwindelgefühl übermächtig werden konnte, wandte ich mich würgend um und kletterte in den Treppenschacht zurück. Nach etlichen Stunden hatte ich das untere Ende der Treppe erreicht.
Im Nachhinein weiß ich nicht mehr, wie ich es überhaupt geschafft hatte. Meine Füße schienen sich in unförmige Klumpen und meine Beinmuskeln in verkrampfte, knotige Stränge, verwandelt zu haben, die meinen Körper bei jeder Bewegung mit feurigen Schmerzen durchzogen.
Und doch war meine Erschöpfung mit einem Schlag wie weggewischt, als ich die Gestalt sah, die mich inmitten des leeren Raumes im Erdgeschoß erwartete. Es handelte sich nicht um ein ekelhaftes Shoggotenmonster, nicht einmal um Howard oder einen der anderen hypnotisierten Menschen, und doch traf mich der Anblick wie ein Schlag.
Es war ein Wesen, das ich einmal geliebt und niemals mehr wiederzusehen geglaubt hatte, denn es war in meinen Armen gestorben.
Vor mir stand
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