Der Hexer - NR47 - Stadt der bösen Träume
blitzten sie in allen Farben des Regenbogens, so daß es aussah, als handele es sich um einen einzigen, riesigen Edelstein. Die unglaublich zarten Türme und kühn geschwungenen Brücken machten den Eindruck, als müßten sie beim leichtesten Lufthauch in sich zusammenbrechen.
Es konnte sich nur um einen Traum handeln. Ich versuchte die Vision wegzublinzeln, aber der unglaubliche Anblick blieb. Die Stadt existierte. Aber ich befand mich nicht mehr auf Nemos Inselstützpunkt. Für ein Tor gab es keine räumliche Begrenzung. Es konnte durchaus sein, daß es mich bis ans andere Ende der Welt geschleudert hatte. Wenn nicht noch weiter...
Ich wußte nicht, wie lange ich am Ende des Stollens gestanden und auf die Stadt hinabgestarrt hatte. Angesichts dieser Pracht erschien mir das vorangegangene Grauen wie ein ferner, verschwommener Schatten, und der Stockdegen in meiner Hand kam mir an diesem Ort des Friedens schlichtweg lächerlich vor. Ich konnte förmlich spüren, wie der Anblick mich mit neuer Kraft erfüllte und meine Erschöpfung wegwischte.
Es dauerte Minuten, bis ich mir der Gefahr wieder bewußt wurde. Ein leises Scharren wie das Kratzen unzähliger Hornfüße schreckte mich auf und machte mir drastisch bewußt, daß dieser Ort keineswegs so friedlich war, wie es den Anschein hatte.
Nicht weit entfernt entdeckte ich ein kleines Gebüsch. Mit einigen weiten Sätzen hetzte ich darauf zu und warf mich dahinter in Deckung. Keine Sekunde zu früh. Es sah aus, als dringe eine Wolke manifestierter Finsternis aus dem Stollen. Der Shoggote hatte eine fast humanoide Gestalt angenommen, eine grausame Verhöhnung des menschlichen Lebens. Auch jetzt noch war er riesig, fast vier Meter groß, und seine Gestalt blieb immer noch seltsam unscharf.
Es war der Schatten eines ins Absurde verzerrten Menschen, eine tentakelbewehrte Scheußlichkeit, und zugleich nur der bizarre Umriß eines aus protoplasmischem Urschlamm geschaffenen Dinges.
Einige Sekunden lang verharrte der Shoggote am Ende des Stollens. Seine Tentakel tasteten in alle Richtungen, als müsse er sich erst orientieren, bevor er weiter ging.
Eine zweite, ungleich kleinere Gestalt folgte ihm. »Howard!«
Erst zu spät begriff ich, daß ich den Namen meines Freundes vor Freude laut geschrien hatte. Erschrocken duckte ich mich tiefer hinter das Gebüsch, aber weder der Shoggote noch Howard reagierten auf meinen Ruf. Die Bewegungen meines Freundes waren seltsam steif und marionettenhaft. Er hatte seinen freien Willen verloren, aber wenigstens war er noch am Leben und schien sogar körperlich unversehrt.
Ein wahrer Orkan von Gefühlen durchtobte mich. Solange Howard lebte, bestand auch noch Hoffnung, ihn aus dem Bann zu befreien. Zugleich wuchs meine Hoffnung, daß auch Nemo und seinen Leuten nichts passiert war – nichts endgültiges jedenfalls.
Ich wartete, bis Howard und der Shoggote sich ein Stück entfernt hatten. Erst dann wagte ich es, mich hinter meiner Deckung aufzurichten. Über weite Strecken bot der Weg mir keine Deckung mehr, so daß ich einen Abstand von einigen Dutzend Yards zwischen uns ließ. Bei dieser Entfernung konnte ich mich für jeden Angriff rechtzeitig wappnen.
Ohne große Hast näherten sich die beiden Gestalten der Stadt. Ich wurde nicht schlau aus dem seltsamen Verhalten des Shoggoten. Noch einmal rief ich mir alle Einzelheiten des Kampfes ins Gedächtnis, und immer mehr verdichtete sich mein Eindruck, daß das Ding mich von Anfang an nicht mit aller Kraft angegriffen hatte. Es hatte sich die ganze Zeit über nur auf Howard konzentriert und sich darauf beschränkt, mich von ihm zu trennen.
Wir hatten es nicht mit einem gewöhnlichen Shoggoten zu tun. Die amorphen Dienerkreaturen der GROSSEN ALTEN existierten meist nur kurze Zeit, und wenn sie ihre Gestalt auch zu ändern vermochten, so erreichten sie doch niemals eine so gigantische Größe und vermochten ihren Körper nicht so extrem zu verformen. Zudem hätten die zahllosen Verletzungen, die ich ihm mit meinem Stockdegen beigebracht hatte, jeden anderen Shoggoten getötet. Dieses Wesen aber wirkte nicht einmal geschwächt.
Warum also hatte es mich verschont und sich mit Howard zufriedengegeben? Warum griff es mich nicht an? Ich war mir sicher, daß es meine Anwesenheit längst bemerkt hatte.
Es gab nur eine Erklärung. Der Shoggote hielt es nicht für nötig, sich auf einen neuen Kampf einzulassen. Zumindest nicht hier. Er wußte, daß ich hinter ihm war, und er würde mich in
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