Der Hexer - NR48 - Geistersturm
ergründen und folgte ihm mühsam bis zu seinem Ursprung.
Und als er die Quelle ausgemacht hatte, zuckte er wie unter einem Stromschlag zusammen. Sekundenlang blieb er zitternd und mit geschlossenen Augen stehen, bis er sich einigermaßen zur Ruhe zwingen konnte und mit einem Ruck die Augen öffnete.
Die Quelle der fremden Macht lag bei Robert selbst!
Wie aber konnte jemand, der tot war, magische Kraft aussenden?
»Er lebt!« sagte Howard stockend. »Ich weiß nicht, wie das sein kann, aber er lebt.« Sanft ergriff er Robert an den Schultern. »Nimm seine Beine, Rowlf«, sagte er. »Wir bringen ihn ins Bett.«
Während sich Dr. Gray um Mary kümmerte, trugen sie Robert in sein Schlafzimmer und legten ihn auf das Bett. Dabei rutschte seine Uhr aus der Westentasche. Howard klappte den Deckel auf. Die Zeiger bewegten sich nicht, aber das Glas war auch nicht gesprungen, und Robert war auf die andere Seite gefallen, so daß die Uhr keinen Stoß abbekommen haben konnte.
Und plötzlich begriff er!
Die stehende Uhr, der fehlende Puls, die konstante Körpertemperatur, die Kraft, die verhindert hatte, daß er in den Zeitablauf eingriff, das Gefühl, das ihn im ersten Moment davon abgehalten hatte, den Körper zu berühren – alles bekam plötzlich einen Sinn.
Robert war nicht tot. Sein Herz hatte auch nicht aufgehört zu schlagen, zumindest nicht in seiner eigenen Wahrnehmung.
Die Zeit war für ihn stehengeblieben!
Es war unfaßbar, aber Robert war in ein eigenes Zeitfeld eingeschlossen, so daß für ihn während seines Zusammenbruchs nicht eine einzige Sekunde vergangen war.
Nachdem er einmal wußte, wonach er suchen mußte, konnte Howard das Feld deutlich spüren; es hatte sich wie eine zweite Haut um Robert gelegt und unterdrückte jede Lebensfunktion.
Mary und Dr. Gray erschienen im Türrahmen. Hastig erzählte Howard, was er herausgefunden hatte. Er glaubte geradezu den Stein hören zu können, der den Gefährten vom Herzen fiel.
»Begreif ich zwar nicht, aber soll wohl heiß’n, daß’em Kleenen nix passiert is«, brummte Rowlf erleichtert. Wie üblich verbarg er seine Gefühle hinter der Maske aufgesetzter Ruppigkeit. »Mitter Zeit kennste dich ja aus. Wann kommt er’n wieda zu sich?«
Howard zuckte mit den Schultern. Natürlich ging es nicht nur um ein einfaches Aufwachen, sondern sie hatten es hier mit Kräften zu tun; die das menschliche Vorstellungsvermögen überschritten. Er suchte erfolglos nach Worten, um den abstrakten Vorgang darzustellen.
Es war unmöglich, jemandem etwas über eine Zeitmanipulation zu erzählen, der noch nie selbst den Fluß der in die Gegenwart mündenden Vergangenheit gespürt und in den Zyklus der Ewigkeit eingegriffen hatte. Es war, als versuche man einem von Geburt an Blinden zu erklären, was eine Farbe sei.
Ein völlig unmögliches Unterfangen.
Statt dessen konzentrierte Howard sich wieder auf das Zeitfeld. Rowlfs Frage, so ungeschickt sie auch gestellt war, schnitt doch das Problem an, um das es ging. Theoretisch konnte das Feld in der realen Zeit ewig bestehen, ohne daß für Robert auch nur eine einzige Sekunde verging – was einem Tod im Grunde gleichkam.
Er mußte versuchen, das Feld von außen aufzubrechen. Mit geistigen Fühlern tastete er den magischen Käfig ab und versuchte, seine Struktur zu ergründen. Der Aufbau war komplizierter, als er gedacht hatte. Immer wieder stieß er an eine undurchdringliche Mauer und mußte wieder von vorne anfangen. Verbissen verfolgte er einen Faden des Geflechts nach dem anderen, suchte nach einem Ansatzpunkt, von dem aus er sich in das Innere des Kokons vorarbeiten konnte, um das Feld aufzubrechen.
Schweiß perlte auf seiner Stirn. Gespannt beobachteten die anderen seine Bemühungen. Unverständnis und Hoffnung spiegelten sich auf ihren Gesichtern. Eine fühlbare Spannung lag in der Luft.
»Es... geht nicht«, preßte Howard nach einer Weile hervor. »Ich brauche eine Pause. Bitte, Miss Winden, würden Sie einen Kaffee kochen?«
Mary nickte stumm und ging in die Küche hinunter.
»Was ’n nu los?« wollte Rowlf wissen. »Wie sieht’s aus?«
Noch bevor Howard antworten konnte, sprang Dr. Gray plötzlich von seinem Stuhl auf.
»Er hat sich bewegt!« rief er mit überschnappender Stimme. »Robert atmet wieder!«
Howard fuhr herum. Tatsächlich hob und senkte sich Roberts Brust. Gleichzeitig schlug er die Augen auf. Das Zeitfeld war verschwunden. Verwirrt strich er sich mit der Hand übers Gesicht.
»Die
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