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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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Mühe erspart.«
    »Ihr? Aber weshalb …« Der Andechser Abt wirkte einen Moment lang irritiert, dann sprach er traurig weiter: »Wie auch immer – als ich diese Nachricht heute bekam, dachte ich, jetzt würde alles wieder gut. Aber nun sieht es so aus, als wäre alles verloren. Monstranz und Hostien sind wie vom Erdboden verschluckt, das Amt geht an Pater Jeremias, und mein Bruder ist vermutlich tot!« Schluchzend brach er zusammen.
    Magdalena streichelte ihm sanft über die Schulter, wie einem kleinen Kind. »Ihr dürft nicht aufgeben«, sagte sie leise. »Vielleicht wird noch alles gut. Mein Vater hat schon ganz andere Männer vor dem Verderben bewahrt.«
    »Und ebenso vielen auf dem Schafott den Kopf abgeschlagen«, erwiderte Jakob Kuisl. »Ich will nur hoffen, dass Ihr uns die Wahrheit gesagt habt.«
    Rambeck hob den Kopf. »Bei der Jungfrau und allen Heiligen, es ist die Wahrheit. Nichts als die Wahrheit!«
    »Nun gut.« Der Henker stand auf und klopfte seine erkaltete Pfeife am Stuhl aus. »Dann lasst uns jetzt handeln. In drei Tagen ist das Dreihostienfest. Wenn wir bis dahin die Monstranz nicht gefunden haben, ist hier ohnehin die Hölle los. Und wenn wir in drei Tagen keinen Täter haben, seh ich auch für den Nepomuk schwarz. Der Weilheimer Scharfrichter ist ein Sauhund, der fackelt nicht lang.«
    »Und mein Bruder?«, fragte der Abt hoffnung s­voll.
    Jakob Kuisl pflückte mit seiner rechten Pranke den schwärzlichen Zeigefinger von der Kutte des Mönchs und betrachtete ihn mit fachkundigem Blick.
    »Ein sauberer Schnitt«, sagte er anerkennend. »Wer so arbeitet, der will von seinem Opfer noch länger etwas haben. Der will nicht, dass es verblutet. Gut möglich also, dass Euer Bruder noch lebt. Vielleicht bekommen wir schon bald ein weiteres Stück von ihm.«
    Sorgfältig legte der Henker den Finger zurück in den Schoß des leichenblassen Abts und wandte sich zum Gehen. Als sein massiger Körper die offene Tür verdeckte und das Mondlicht aussperrte, war der Raum für kurze Zeit in eine tiefe, fast undurchdringliche Schwärze getaucht.
    *
    Nepomuk Volkmar starrte auf die mit Blut und Kot verdreckte Wand seines Weilheimer Kerkers. Er saß erst seit ein paar Stunden in diesem Loch, doch schon jetzt dachte er an die Andechser Klostermeierei zurück wie ans Paradies.
    Die Zelle im sogenannten Faulturm war ein quadratisches, acht Schritt tiefes Loch, in das er mit einer Leiter steigen musste. Die Leiter hatten die Büttel danach wieder hochgezogen und das Loch mit einer Falltür verschlossen. Seitdem kauerte Nepomuk in einer Ecke und versuchte nicht daran zu denken, was ihm in den nächsten Tagen bevorstand. Der Kerker war gerade so breit, dass er im Sitzen die Beine ausstrecken konnte, in dem dürftig aufgeschütteten, dreckigen Stroh wimmelte es von Flöhen, Asseln und anderem Ungeziefer. Außerdem roch es so stark nach Unrat, dass Nepomuk sich während der ersten Stunden beinahe hätte übergeben müssen.
    Das Schlimmste aber waren die Ratten.
    Sie kamen aus Dutzenden unsichtbarer Löcher im Gestein gekrochen, krabbelten ihm über Arme und Beine und balgten sich zu seinen Füßen um die paar Stücke schimmliger Brotrinde, die ihm die Wachen hinuntergeworfen hatten. Nepomuk hatte Ratten noch nie leiden mögen, es gab Leute, die glaubten, dass sie die Menschen krank machten. In diesem Kerker aber steigerte sich seine Abneigung zu grenzenlosem Hass. Ihre funkelnden Augen ließen die Biester bösartig und intelligent aussehen, ihm war fast so, als würden sie sich über sein Schicksal lustig machen. Ihr Fiepen klang wie das Geschrei hoher Stimmen, die über seinen schmerzvollen, langsamen Tod höhnten.
    Du bist ein Hexer, Nepomuk! Der Weilheimer Henker wird dich mit glühenden Zangen zwicken, er wird an deinen Gliedern so lange reißen, bis sie dir aus den Gelenken springen, er wird dir jeden Fingernagel einzeln herausziehen, und am Ende wirst du brennen. Du wirst brennen, Nepomuk! Schreiend wirst du brennen!
    Nepomuk schüttelte sich, um dem Alptraum zu entrinnen. Ohne Licht hatte er bereits jetzt sämtliches Zeitgefühl verloren. Wie spät mochte es sein? Mitternacht? Oder dämmerte schon der Tag? Die Fahrt von Andechs nach Weilheim mochte drei oder vier Stunden gedauert haben. Sie waren mit dem Ochsenkarren in Schrittgeschwindigkeit gefahren, und in den Dörfern, die sie passierten, hatten immer wieder Leute am Straßenrand gestanden und auf die Kiste mit dem Hexer gestarrt. Nepomuk hatte durch die

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