Der Hexer und die Henkerstochter
der Abt war, der die Hostien gestohlen hat?«
Der Henker grinste und nahm einen tiefen Zug von seiner Pfeife. »Als ich gestern den drei Mönchen in die Heilige Kapelle gefolgt bin, hat Prior Jeremias erzählt, dass es Bruder Maurus war, der am Montagabend unbedingt noch in die Reliquienkammer wollte«, sagte er selbstzufrieden. »Dafür gab es eigentlich keinen Grund. Die Kapelle hätte bis zum Dreihostienfest geschlossen sein sollen. Außer natürlich – man braucht etwas daraus.«
Simon wischte Staub und Scherben von einem der Schemel und setzte sich dem Abt gegenüber. Das Klopfen des Regens gegen die Butzenscheiben war nun in ein leises Tröpfeln übergegangen.
»Nun gut«, begann der Medicus zögerlich und wandte sich an Rambeck. »Jetzt wissen wir, dass Ihr die Hostien gestohlen habt. Aber ich kann mir immer noch keinen Reim drauf machen, was Ihr damit bezweckt. Und vor allem – was hat das alles mit Eurem Bruder zu tun?«
»Ich hab so eine Ahnung«, brummte Jakob Kuisl. »Aber besser, Hochwürden, Ihr erzählt uns das selbst.«
Der Abt setzte sich nun aufrecht in seinen Stuhl und musterte jeden Einzelnen von ihnen. Einen kurzen Augenblick war wieder seine alte Arroganz zu spüren. »Sagt mir einen Grund, warum ich das tun sollte«, blaffte er. »Virgilius ist mein Bruder, nun gut. Dass ich es geheim gehalten habe, ist kein Verbrechen. Und was die Sache mit dem Hostiendiebstahl angeht …« Er machte eine drohende Pause. »Wem wird man wohl mehr glauben? Einem dahergelaufenen Bader, einem ehrlosen Henker und seiner ebenso ehrlosen Tochter oder doch eher dem ehrwürdigen Abt von Andechs? Noch dazu, wo man bereits einen Schuldigen gefunden hat? Warum also sollte ich nicht jetzt auf der Stelle die Wachen rufen?«
»Weil Euch dann keiner hilft, Euren Bruder zu finden«, erwiderte Jakob Kuisl tonlos.
Als der Abt schwieg, beugte sich der Henker nach vorne und sah Maurus Rambeck mit schmalen Augen an. Seine Stimme war jetzt so leise, dass Simon und Magdalena sie kaum noch hören konnten.
»Nicht wahr, deshalb seid Ihr doch hier? Weil Ihr hofftet, Euren Bruder zu finden, der sich in den Händen des wahren Hexers befindet.« Kuisl lehnte sich wieder zurück und saugte genüsslich an seiner Pfeife. Als er weitersprach, zog sich ein breites Grinsen über sein Gesicht.
»Aber glaubt mir, wenn jemand Virgilius findet, dann bin ich es. Das Leben Eures Bruders gegen das von Nepomuk. Ich würde sagen, das ist ein fairer Handel.«
Von seinem Versteck aus starrten die Augen des Hexers hasserfüllt auf die Gruppe, die im Labor des Uhrmachers rund um eine Laterne saß.
Im flackernden Lichterschein sah der Mann, wie dieser verfluchte Henker mit Maurus Rambeck sprach und der Abt in sich zusammenfiel. Der Hexer zischte wie eine Schlange und verdrehte dabei die Augen. Er hätte dem Abt wirklich mehr Würde zugetraut, doch so, wie es aussah, ließ er sich von dieser Bande tatsächlich einschüchtern.
Der Hexer hatte das ganze Gespräch belauscht. Dieser Scharfrichter und seine Sippe waren wirklich schlauer, als er zunächst gedacht hatte. Aber sie waren nicht schlau genug, um ihm das Wasser zu reichen. Keiner war das. Sein Problem war vielmehr, dass er mit einem Helfer gestraft war, der nicht einmal die simpelsten Aufträge ausführen konnte! Dreimal schon war ihm dadurch diese Henkersdirn entwischt. Doch nun zeigte sich, dass nicht sie oder dieser verweichlichte Bader, sondern der Scharfrichter die größte Gefahr darstellte.
Der Hexer leckte sich die trockenen Lippen. Er hätte diesen Kuisl schon viel früher aus dem Weg räumen lassen sollen. Aber der Schongauer Scharfrichter war gefährlich, ein heruntergefallener Kalksack würde sicher nicht reichen, und eine direkte Auseinandersetzung erschien dem Mann zu riskant. Verdammt, diese ganze Kuisl-Familie lag wie ein Fluch auf ihm!
Plötzlich begann der Hexer zu grinsen; er musste aufpassen, dass er nicht zu glucksen anfing, so gut war die Idee. Es gab tatsächlich noch eine weitere Möglichkeit. Eine Schande, dass er darauf nicht früher gekommen war! Damit ließen sich vermutlich alle Probleme auf der Stelle beseitigen. Er musste sofort Anweisung geben, den Auftrag auszuführen.
Bis dahin hieß es warten.
Unsichtbar wie ein Schatten lauschte der Hexer von seinem Versteck aus weiterhin dem Gespräch im Uhrmacherhaus.
Maurus Rambeck saß eine ganze Weile wie versteinert da, während der Regen in dünnen Rinnsalen an den Butzenscheiben hinunterlief. Draußen
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