Der Hexer und die Henkerstochter
vorgesehen. Virgilius blieb hier in Andechs. Als ich vor ein paar Monaten dann als Abt an dieses Kloster berufen wurde, war das vor allem für den ehrgeizigen Prior ein schwerer Schlag.«
»Wie es zurzeit aussieht, wird es ihm immerhin gelingen, der nächste Abt zu werden«, erwiderte Simon. »Die Idee, den Weilheimer Landrichter zu benachrichtigen, stammt jedenfalls von Pater Jeremias höchstpersönlich.«
Maurus Rambeck nickte. »Ich weiß. Gern hätte ich den Prozess noch ein wenig länger hinausgezögert, auch aus …« Er stockte. »Nun, aus eigenem Interesse.«
»Ihr selbst habt die Hostien gestohlen, nicht wahr?«, brummte der Henker. »Und ich hab auch schon eine Ahnung, warum.« Er zog seine Pfeife hervor und machte es sich auf einem verkohlten, wackligen Stuhl gemütlich.
Der Abt lächelte ihn an. »Für einen ehrlosen Henker seid Ihr erstaunlich scharfsinnig«, sagte Rambeck und tastete die Beule ab, die sich mittlerweile unter seiner Tonsur gebildet hatte. »Darf ich fragen, wie Ihr das herausgefunden habt?«
»Das würde mich auch interessieren.« Magdalena wischte sich Staub und ein paar verbliebene Regentropfen aus dem Gesicht und ließ sich neben ihren Vater auf einem der angekokelten Stühle nieder. »Ich finde, du hast uns jetzt lang genug hingehalten.«
Es dauerte eine Weile, bis Jakob Kuisl mit dem Zunderkästchen seine Pfeife entzündet hatte. Draußen ertönte ein fernes Donnern, das Gewitter zog langsam weiter. Erst als die ersten Rauchschwaden das Krokodil an der Decke umwehten, begann der Henker zu sprechen.
»Mir war ziemlich schnell klar, dass die Hostien nicht von irgendeinem gemeinen Straßendieb aus der Kammer gestohlen worden sind«, sagte er schließlich. »Es gab keine Hinweise auf einen Einbruch, und schließlich war die Tür mit drei Riegeln versperrt, für die man auch noch drei unterschiedliche Schlüssel brauchte. Wie hätte der Dieb an alle drei Schlüssel kommen sollen?«
»Aber offensichtlich ist es ihm doch gelungen«, warf Simon ratlos ein. »Wenn nicht …« Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf. Er schlug sich an die Stirn. »Verflucht, wie konnte ich nur so blöd sein!«
»Das hab ich mich allerdings auch schon gefragt, lieber Schwiegersohn«, erwiderte Jakob Kuisl. »Ich jedenfalls hab dich immer für ein wenig schlauer gehalten.«
Simon warf ihm einen zornigen Seitenblick zu, dann begann er laut zu überlegen. »Der Dieb brauchte keinen Schlüssel, weil er nämlich einer der drei Personen war, die am Montagabend noch in die Heilige Kapelle gegangen sind!«, flüsterte er aufgeregt. »Lasst mich raten, Hochwürden. Ihr habt den Raum als Letzter verlassen und im Weggehen noch die Monstranz unter die Kutte gesteckt. Es war dunkel, keiner hat etwas bemerkt. Als die anderen dann bereits die Treppe hinuntergingen …«
»Hat unser guter Abt die Monstranz einfach in die große Truhe im Vorraum gestopft und sie später in der Nacht dort abgeholt«, unterbrach ihn der Henker ruppig. »Deshalb wollte ich noch einmal in die Heilige Kapelle. Ich hatte einen Verdacht, aber mir war klar, dass der Dieb diese schwere Monstranz nicht in die Kirche hinunter hätte tragen können. Das wäre aufgefallen. Also musste er sie irgendwo verstecken.« Kuisl grinste. »Von wegen Zauberei! Die größten Rätsel haben oft die einfachsten Lösungen.«
Maurus Rambeck seufzte. »Es war so simpel, dass ich mich nachher selbst fragte, warum es keinem aufgefallen ist«, sagte er kopfschüttelnd. »Aber das ganze Gerede von Hexerei und Teufelswerk hat meine Mitbrüder blind gemacht für das Naheliegendste. Sie wollten lieber an einen Golem glauben.«
»Aber habt Ihr nicht selbst an einen Golem geglaubt?«, fragte Simon. »Noch vor kurzem sah ich Euch ein Buch darüber lesen.«
»Woher wisst Ihr …« Der Abt schaute erstaunt auf, einen Moment lang glaubte Simon, eine leichte Verunsicherung bei ihm zu bemerken. Dann zuckte Rambeck die Achseln. »Ich gebe zu, dass mich das Gerede angesteckt hat. Schließlich ist Virgilius’ Automat verschwunden. Aber ein Golem?« Er schüttelte den Kopf. »Ein Ding aus stinkendem Lehm, das den obskuren Gesetzen der Magie folgt? Unsinn! Wie mein Bruder, so glaube auch ich ausschließlich an Gott und die Gesetze der Mechanik.«
»Augenblick mal, das geht mir zu schnell«, unterbrach Magdalena den Abt und sah ihren Vater fragend an. »Es hätte doch jeder der drei Schlüsselträger der Dieb sein können. Warum warst du dir so sicher, dass es gerade
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