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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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Kindern und brachte sie alle drei mit seinen Grimassen zum Lachen. Leise, um die Buben nicht zu wecken, ging Matthias zum Tisch und schenkte sich aus einem Krug ­einen Becher Wasser ein, den er in gierigen ­Zügen austrank.
    »Verdammt noch mal, wo hast du Taugenichts nur gesteckt?«
    Es war die Stimme von Michael Graetz, der mittlerweile die Stube betreten hatte. Die Arme verschränkt vor einer blutbefleckten Schürze, an der ein Messer baumelte, funkelte der kleingewachsene Schinder wütend seinen Gesellen an, der ihn um fast zwei Köpfe überragte.
    »Dem Kinshofer verreckt ein Rind, und ich kann die ganze Drecksarbeit alleine machen, während der vornehme Herr verträumt durch die Wälder spaziert! Wenn ich dich noch einmal …«
    Erst jetzt sah Michael Graetz Magdalena und die beiden schlafenden Kinder. Ein wenig leiser fuhr er fort: »Geh gefälligst raus und verbrenn das Gekröse hinterm Haus! Die Haut hab ich bereits abgezogen. Nun lauf schon, du nichtsnutziger Faulpelz, bevor ich dir selbst das Fell gerbe!«
    Matthias machte sich klein, so als erwarte er Schläge. Sein Mund verzog sich zu einem Wimmern.
    »Ist schon gut«, brummte der Schinder, nun ein wenig ruhiger. »Mach einfach, was ich dir sag. Und das nächste Mal schreib mir eine Nachricht, wenn du gehst.«
    Als der stumme Geselle die Stube verlassen hatte, sah Magdalena den Schinder fragend an.
    »Er kann schreiben? Matthias kann schreiben?«
    Michael Graetz grinste. »Wer nicht sprechen kann, muss sich eben auf andere Art verständlich machen. Weiß der Teufel, wer ihm das beigebracht hat. Vermutlich die Mönche, mit denen er sich immer herumtreibt.« Mit einem ­Zipfel seiner blutigen Schürze wischte er sich den Schweiß von der Stirn. »Mein Vater hat mich auch ein wenig das Schreiben gelehrt«, murmelte er. »Aber der Matthias ist verflucht noch mal schlauer, als er ausschaut. Der kann dir die vier Evangelien runterschreiben, als wären’s Kochrezepte.«
    »Du hast mir mal erzählt, kroatische Söldner hätten ihm als kleinem Bub die Zunge herausgeschnitten. Ist das wirklich wahr?«
    Graetz nickte. »So wahr, wie ich hier stehe. Die Mutter ha­ben sie vergewaltigt und getötet, den Vater vor seinen Augen gehängt. Drüben auf dem Erlinger Galgenbichl war das, das halbe Dorf hat zusehen müssen. Das sollte für die anderen Bauern eine Warnung sein. Ein Wunder, dass der Junge nicht den Verstand verloren hat. Er ist seit ­seinem zwölften Lebensjahr bei mir, kein anderer wollte ihn haben. Durch die Wälder ist er gestromert, bis ich mich seiner angenommen hab.« Er lachte leise. »Ein ehr­loser dreckiger Schinder, da passt ein solches stummes Menschenvieh wie er am besten hin!«
    Magdalena sah ihn zornig an. »Sag so etwas nicht. Von meinen Kindern soll später jedenfalls keiner behaupten können, dass sie ehrlos und dreckig sind.«
    Michael Graetz griff sich einen Kanten Brot, der auf dem Tisch lag, und biss hinein. »Was willst du schon dagegen machen, Henkerstochter?«, sagte er mit vollem Mund. »Bischof wird dein Peter jedenfalls nicht, auch wenn er noch so schöne Augen hat!« Er verschluckte sich kurz vor Lachen. »Vielleicht schickst du ihn ja mal zu mir in die Lehre.«
    »Du wirst schon noch sehen, Graetz!«, zischte Magdalena. »Aus meinen Buben wird was. So wahr ich Kuisl heiße!«
    »Glaub mir, meine Liebe«, sagte der Schinder spöttisch und zog den Krug Wasser zu sich heran. »Aus den Kuisls und Graetzens wird nichts. Nie. Nicht in dreihundert Jahren.«
    In diesem Augenblick klopfte es so laut an der Tür, als würde jemand mit aller Macht dagegentreten.
    »Aufmachen!«, erklang eine zornige Stimme, die Magdalena irgendwie vertraut vorkam. »Im Namen des Klos ters sofort aufmachen! Bevor ich diesen stinkenden Schwei nestall niederreißen lasse.«
    »Himmelherrgott, ist ja schon gut!« Der kleine Schinder eilte zur Tür und drückte die Klinke. Sofort stürmten zwei grün gewandete Jäger hinein. Magdalena bemerkte, dass es die Gleichen waren, die vor einigen Tagen den vermeintlichen Hexer Nepomuk in der Käserei bewacht hatten. Sie waren mit Lanzen bewaffnet, an ihren Gürteln hingen kleine Armbrüste. Hinter ihnen betraten ein geckenhaft gekleideter Jüngling und ein schmerbäuchiger älterer Mann die Schinderstube. Beide kannte die Henkerstochter nur allzu gut.
    Es waren der Schongauer Bürgermeister Karl Semer und sein Sohn Sebastian.
    Mit schmalen Augen sah der alte Semer sich in dem kärglichen Raum um, bevor er endlich

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