Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
Vom Netzwerk:
unten, dann gab es einen heftigen Ruck, gefolgt von einem Schaukeln.
    Die Glocken des Klosters begannen wie wild zu läuten.
    Magdalenas Ohren dröhnten, es war so laut, als würde sie im Inneren der Glocke hin und her geworfen, und der Schwung des tonnenschweren Hohlkörpers ließ sie immer wieder in die Höhe schnellen. Langsam rutschte sie am Seil hinunter zum Grund des Turms, wo bereits einige verblüffte Handwerker standen und mit offenen Mündern zu ihr hochstarrten. Auch Jakob Schreevogl und der Zimmermann Balthasar Hemerle waren darunter.
    Magdalena sah, dass sie ihr beide etwas zuriefen, doch alles, was sie hörte, war das wummernde Schlagen der Glocken. Ein immer wiederkehrendes ohrenbetäubendes Brummen, Klirren, Scheppern und Donnern.
    Es klang, als riefen die Engel zum Jüngsten Gericht.
    Die Glockenschläge wehten hinüber zum Hauptbau des Klosters, wo sie den Andechser Abt Maurus Rambeck für einen Moment in seiner Rede unterbrachen. Doch der Anlass war zu ernst, um lange innezuhalten.
    »Also wirklich Mord?« Der Abt zog die rechte Augenbraue nach oben und warf einen kurzen Blick durchs Fenster, so als könnte er auf diese Weise den Grund des Läutens herausfinden. Simon schätzte Rambeck auf ungefähr fünfzig, doch der kahlgeschorene Schädel und die schwarze Benediktinerkutte ließen ihn wesentlich älter wirken. Nach einer gefühlten Ewigkeit wandte der Abt sich wieder seinem Besucher zu. »Wie kommt Ihr auf einen solch abscheulichen Einfall?«
    »Ich … äh, ich fand blaue Flecken an den Schulterblättern und an der Brust des Novizen, Hochwürden«, murmelte Simon. »Und eine Beule am Hinterkopf. Ihr könnt den Leichnam gern selbst untersuchen.«
    »Das werde ich tun. Darauf könnt Ihr Euch verlassen.«
    Simon hielt den Blick gesenkt und beobachtete verstohlen die vielen Bücher in den Regalen ringsumher. Frater Johannes und er hatten Maurus Rambeck im sogenannten Studierzimmer im ersten Stock angetroffen – einem Raum, der nur dem Abt vorbehalten war. Das Kloster­oberhaupt hatte an einem Tisch über einem zerfledderten Buch gebrütet, auf dessen Seiten Simon sonderbare Zeichen erkennen konnte, die ihm vage bekannt vorkamen.
    »Sollte Eure Theorie tatsächlich stimmen«, fuhr Maurus Rambeck fort, »dann ist das eine Angelegenheit für den Weilheimer Landrichter. Ein Prozedere, welches ich uns allen nur allzu gern ersparen möchte. Gibt es denn irgendwelche Hinweise, wer der Täter sein könnte?«
    »Leider nein«, seufzte Simon. »Aber vielleicht sollte man diesem Fischweiher einmal einen Besuch abstatten, wenn Ihr mir die Bemerkung gestattet.«
    »Vielleicht sollte man das tatsächlich.«
    Der Vorsteher des Klosters fuhr sich mit der Zunge nachdenklich über die fleischigen Lippen. Maurus Rambeck war ein feister Mann mit hängenden Wangen wie bei einem alten Schoßhund. Seine ganze Erscheinung strahlte eine kaminheimelige Gemütlichkeit aus, nur die Augen verrieten, dass dahinter ein wacher Geist wohnte. Johannes hatte Simon auf dem Weg hinüber in den Klostertrakt erzählt, der Abt habe seine Stelle erst seit wenigen Monaten inne und gelte als einer der klügsten Köpfe Bayerns. Rambeck sprach acht Sprachen fließend und konnte noch einmal so viele lesen. Wie viele andere gebildete Männer seiner Zeit hatte er in Salzburg an der Benediktineruniversität nicht nur Theologie, sondern auch Philosophie, Mathematik und Experimentalphysik studiert. Nachdem er in jungen Jahren als einfacher Mönch dem Kloster gedient hatte, war er später als Dozent erneut an die Salzburger Universität gesandt worden. Sein Ruf zurück nach Andechs hatte im Klosterrat für erheblichen Wirbel gesorgt.
    »Ich halte das Ganze für ein Hirngespinst«, fuhr Frater Johannes nun zum ersten Mal dazwischen. »Glaubt mir, Hochwürden, ich habe schon viele Leichen gesehen, und …«
    »Ich weiß, dass du schon viele Leichen gesehen hast, lieber Mitbruder«, unterbrach ihn der Abt. » Zu viele, wenn du mich fragst …«, fügte er bedeutungsschwanger hinzu. »Davon abgesehen mehren sich in letzter Zeit die ärger­lichen Vorkommnisse rund um deine Person, Bruder ­Johannes. Die Gerüchte um den Blitzschlag, deine Völlereien zur Fastenzeit, nicht zu vergessen die ewigen Streitereien mit Frater Virgilius. Wie ich hörte, gab es erst heute wieder Unfrieden zwischen euch beiden?«
    »Woher wisst Ihr …«, brauste Frater Johannes auf. Doch dann senkten sich seine Schultern, und er fuhr kleinlaut fort: »Nun gut, es ist

Weitere Kostenlose Bücher