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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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seinem jetzigen Zustand für die Kleinen nichts weiter als eine ausgestopfte Puppe war.
    Ein Automat wie der andere.
    Der Hexer schmunzelte. Vielleicht sollte er auch mit dem Bader ein kleines Experiment wagen.

Sonntag, der 20. Juni Anno Domini 1666,
später Nachmittag
    laubst du nicht, es ist an der Zeit, mir zu sagen, wo wir hingehen?«, keuchte Magdalena, die atemlos hinter ihrem Vater durch das waldige Kiental hetzte. Über eine Stunde waren sie schon unterwegs, aber noch immer hatte ihr Jakob Kuisl das Ziel nicht verraten.
    In einem weiten Bogen hatten sie zunächst das Kloster umrundet, waren einen vom nassen Laub rutschigen Abhang nach unten gestiegen und dann weiter durch den Wald gelaufen. Die Angst um ihre Kinder hatte in Magdalena Kräfte freigesetzt, die es ihr erlaubten, wie ein junges Reh ohne Pause durchs Unterholz zu brechen. Ihr Rock war zerrissen, Zweige hatten ihr das Gesicht zerkratzt. Umso zorniger war sie, dass sie immer noch nicht wusste, wohin sie eigentlich unterwegs waren.
    »Geduld dich noch ein bisserl«, brummte der Henker, ohne in seinem Lauf innezuhalten. Seinen schwarzen Mantel hatte er beim Schinder liegen lassen, das Hemd war nass von Schweiß. »Es kann nicht mehr weit sein.«
    Mit seinen Pranken schob er einen toten Baumstamm wie einen Schilfhalm zur Seite und sprang über einen ­schmalen Bachlauf. Als Magdalena ihm folgen wollte, sank sie knietief im Morast ein. Kuisl reichte ihr die Hand.
    »Hättest ja nicht mitkommen müssen«, sagte er ungeduldig zu ihr. »Ich weiß ohnehin nicht, was ein hilfloses Weib …«
    »Dieses hilflose Weib ist ganz nebenbei die Mutter der zwei entführten Kinder«, fauchte Magdalena. »Also fang nicht wieder mit dem Schmarren an. Sag mir lieber, wo wir hingehen.«
    Kuisl lächelte schmal, dann zog er sie mit einer einzigen kräftigen Bewegung aus dem Schlamm und eilte schweigend weiter.
    Murrend folgte ihm Magdalena. Ihr Vater konnte manchmal so stur sein! Nachdem Jakob Kuisl am Galgenberg seine merkwürdige Andeutung über die »Unterwelt« gemacht hatte, hatten sie kaum ein Dutzend Worte gewechselt. Zunächst waren sie zum Schinderhaus gelaufen, doch Simon war nicht da gewesen. Auch Graetz wusste nicht, wohin der Medicus verschwunden war. Nach einem längeren Gespräch mit dem Schinder in der Kammer nebenan beschloss Kuisl schließlich, ohne Simon nach den Kindern zu suchen.
    Zunächst wollte er allein gehen, doch Magdalena hatte ihm schnell klargemacht, dass sie ihre entführten Kinder niemals im Stich lassen würde. Also rannten sie jetzt gemeinsam durch den Wald, Vater und Tochter, auf der ­Suche nach dem Verrückten, der die Buben in seine Gewalt gebracht hatte. Hinzu kam Magdalenas Angst um Simon. Lag er irgendwo schwer verletzt im Wald? Hatten ihn die Wachmänner geschnappt und nach Weilheim zur Tortur gebracht, damit er ihnen den Aufenthalt des gesuchten Schongauer Henkers verriet?
    Schon mehrmals war Magdalena ein fürchterlicher Gedanke durch den Kopf geschossen, schmerzhaft wie ein giftiger Pfeil, der sich langsam, aber unerbittlich in ihr Unterbewusstsein bohrte.
    Was ist, wenn die Kinder nicht mehr leben? Wenn der Hexer sie bereits umgebracht hat?
    Ihre Kehle schnürte sich zu, und sie rannte noch schneller, um die schlimmen Vorahnungen zu vertreiben.
    Plötzlich blieb ihr Vater stehen. Er legte den Finger auf die Lippen und wies auf einen hohen Felsen, der nur einen Steinwurf weit entfernt aus den Bäumen hervorragte.
    »Wir sind gleich da«, flüsterte er. »Das ist der Felsen, den ich gesucht habe. Ich hab mich beim Graetz erkundigt. Die Einheimischen nennen ihn seit Urzeiten den ›Teufelsfelsen‹.«
    Magdalena sah ihn ratlos an. »Den Teufelsfelsen? Aber …«
    »Porta ad loca inferna!« , zischte der Henker. »Die Pforte zur Hölle! Verstehst du? Hier an diesem Felsen geht der Satan ein und aus. Aber es war nicht der Name, der mich draufgebracht hat. Es war etwas anderes.« Kuisl senkte seine Stimme, fast glaubte Magdalena, eine Spur Angst ­darin zu hören.
    »Ich war schon mal hier«, sagte der Henker.
    »Schon mal hier?« Magdalena sah sich um. Mit einem Mal kam ihr die Gegend seltsam vertraut vor. Die Bäume, die Felsen, weiter hinten schienen einige größere Brocken in einer Art Kreis zusammenzustehen … Auch sie kannte diesen Ort. Doch in ihrer Angst hatte sie nicht weiter darauf geachtet.
    Die Überreste eines gemauerten steinernen Rings …
    »Natürlich!«, brach es aus ihr heraus. »Der Steinring, auf dem die

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