Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
Vom Netzwerk:
noch nicht wissen, wo sich der Eingang zu diesen Gängen befindet. Auf der Karte, die dieser Graf Wartenberg hat, scheint er ja eingezeichnet zu sein.« Sie fuhr sich verzweifelt durch ihre schwarzen Haare. »Aber leider hat mein Mann diesen Plan nicht mitgenommen! Nur an diese merkwürdigen lateinischen Worte kann er sich noch erinnern. Hic est porta ad loca inferna  … Was auch immer das bedeuten soll. Es ist zum Aus-der-Haut-Fahren!«
    »Was hast du gerade gesagt?« Der Henker starrte Magdalena plötzlich an, als hätte sie sich in ein seltenes Waldtier verwandelt.
    »Was meinst du?«, fragte sie verdutzt. »Dass es zum Aus-der-Haut-Fahren ist, weil …«
    »Nein, nein. Der lateinische Satz davor!«
    » Hic est porta ad loca inferna. Warum? Das ist doch der Satz, von dem Simon uns erzählt hat.«
    »Nein, das ist er nicht.« Nun grinste der Henker wie ein kleiner Junge, der sich über einen gelungenen Streich freut. »Du hast ihn versehentlich falsch aufgesagt. Simon sprach davon, dass auf der Karte ›Hic est porta ad loca infera ‹ stand. Das würde tatsächlich bedeuten: ›Das ist die Pforte zu den unterirdischen Orten.‹ Aber du hast gerade eben von den loca inferna gesprochen. Gut möglich, dass sich dein schussliger Gatte verlesen hat, schließlich war die Schrift ja ziemlich undeutlich. Warum also sollte dein Satz nicht stimmen?«
    Eine leise Vorahnung stieg in Magdalena auf. »Und … was würde dieser Satz bedeuten?«, fragte sie leise.
    Der Henker pulte zwischen seinen Zähnen. Er liebte es, seine Gesprächspartner mit seinen Antworten auf die Folter zu spannen. Schon als Magdalena ein Kind war, hatte er sie damit zur Weißglut getrieben.
    »Magdalena, Magdalena«, brummte Kuisl schließlich. »Ich dachte wirklich, ich hätt dir ein wenig Latein beigebracht. ›Hic est porta ad loca inferna ‹ heißt übersetzt: ›Hier ist die Pforte zur Hölle.‹« Noch einmal fuhr er sich genüsslich durch den struppigen Bart, bevor er endlich fortfuhr: »Und wie es der liebe Herrgott so will, glaube ich zu wissen, wo wir diese Pforte zur Hölle finden.« Er lächelte. »Was ist, Henkers­tochter? Bist du bereit, mit mir hinab in die Unterwelt zu steigen?«
    Zum gefühlt zehnten Mal glitt Simon im feuchten Laub aus und schlitterte einen der unzähligen Abhänge des Kientals hinunter.
    Er kam sich vor wie ein Käfer in einer Sandgrube. Wo er auch hinsah, ragten steile Findlinge hinter den Buchen und Tannen hervor, dazwischen versperrte stachliges Dickicht de n Weg; zunächst sanft anmutende Hänge verwandelten sich plötzlich in tiefen Morast. Mittlerweile war Simons Rock und auch seine teure Augsburger Rheingrafenhose an mehreren Stellen zerrissen, die Stiefel troffen vor Schlamm. Wahrscheinlich waren sie ebenso wie sein übriges teures Gewand hinüber! Doch das war zurzeit sein geringstes Problem.
    Der Medicus hatte sich verlaufen.
    Eigentlich hatte er nur ein wenig talabwärts gehen wollen, um dann in einem weiten Bogen nach Erling zum Schinderhaus zurückzukehren. Doch immer wieder hatten ihm Felsen, steile Hänge oder morastige Bäche den Weg versperrt und er hatte einen Umweg machen müssen. Mittlerweile hatte er in dem dunklen Wald vollständig die Orientierung verloren.
    Verzweifelt sah Simon sich um. Irgendwo über ihm läu­teten leise Glocken, dort musste das Kloster sein. Aber der direkte Aufstieg dorthin war zu steil. Außerdem wollte ­Simon vermeiden, den Wachen wieder in die Arme zu laufen. Zu seiner Linken stürzte der Kienbach in ein natür­liches Fels­becken und floss von dort weiter ins Tal. Rechts ragten erneut einige Felsen empor. Je länger Simon sie betrachtete, umso mehr erschien es ihm, dass sie von Menschenhand geschaffen sein mussten. Zu gerade verliefen die Wände, und einige der Brocken weiter oben erinnerten an Zinnen, Treppen und Wehrgänge. Die gesamte Formation ließ ihn an ein uraltes Riesenschloss denken – oder eben an die Überreste einer längst verfallenen Burg.
    Die Burg der Andechs-Meranier?
    Simon schüttelte den Kopf. Im Zwielicht des Waldes hatte ihm die Phantasie bereits einige Streiche gespielt. Manche der Felsen waren ihm in der letzten Stunde wie versteinerte Gnome, Türme oder Drachen erschienen. Müde fuhr er sich mit der Hand über die verdreckte Stirn und setzte dann fluchend seinen Weg fort.
    Warum hatte er sich auch nur verirren müssen! Mittlerweile hatten die Büttel sicher schon das Schinderhaus aufgesucht und waren dort auf Magdalena gestoßen. Was

Weitere Kostenlose Bücher