Der Hexer und die Henkerstochter
Weib, wer geht hier ein und aus? Was weißt du von den Kindern?« Der Henker war nun hinzugetreten. Argwöhnisch blickte er sich um, ob das Geschrei der Greisin vielleicht schon jemanden auf sie aufmerksam gemacht hatte.
Die Alte lächelte, so dass ihr zahnloser Mund weit offen stand. »Ja, ja, der Teufel hat die Kinder!«, kicherte sie. »Sein treuer Beelzebub hat sie ihm gebracht.«
»Es sind also zwei?«, hakte der Henker nach. Magdalena sah, wie eine steile Sorgenfalte auf seiner Stirn wuchs. Vermutlich rechnete sich ihr Vater gerade aus, welche Chancen er im Kampf gegen zwei ausgewachsene Männer haben würde, die auch vor Mord und Entführung nicht zurückschreckten.
Plötzlich warf sich die Greisin auf den Boden und fing zu wimmern an.
»Hab ihn nicht aufhalten können!«, jammerte sie. »Das Böse stapft durch meine Höhle, es flüstert mir schlimme Dinge ins Ohr, doch meine Gebete werden nicht erhört. Gott strafe mich für meine Angst! Ich bin davongelaufen, doch ich habe das Böse belauscht, und ich habe gesehen, wie der Satan den kleinen Mann gefangen hat. Er kam nicht wieder aus der Höhle.«
»Den … den kleinen Mann?« Magdalena spürte, wie ihre Beine erneut drohten, unter ihr nachzugeben. Es mochte ein Zufall sein, aber tatsächlich war Simon einer der kleinsten Männer, die sie kannte.
»Wie … wie sah er denn aus, dieser kleine Mann?«, fragte sie aufgeregt.
Die Greisin legte den Kopf schief zur Seite wie eine alte Eule. »Dem schönen Schein war er verfallen. Trug feine Kleider, unnützer Zierrat! Ha, alles, was von ihm bleiben wird, ist ein stinkender Madensack!«
Simon! , fuhr es Magdalena durch den Kopf. Bei Gott, das muss mein Simon gewesen sein!
»Wann war das?«, wollte Jakob Kuisl wissen. Barsch packte er die Alte am Kragen und zog sie zu sich hoch. »Sprich schon, sonst wirst du noch heute deinem Heiland gegenüberstehen!«
Kreischend fing die Alte zu lachen an. »Du drohst mir, Henker?«, schrie sie, während sie mit den Beinen über dem Boden zappelte. »Du, der du Hunderte Menschen abgeschlac htet hast? Am Jüngsten Gericht werden ihre Seelen an deine Tür pochen und nach Vergeltung schreien! Tu Buße, Henker, tu Buße!«
Als hätte er sich die Finger verbrannt, ließ Jakob Kuisl die Alte los. Sie fiel zu Boden und krümmte sich wie ein Wurm.
»Noch keine Stunde ist es her, dass der kleine Mann in der Höhle verschwunden ist!«, zeterte sie schließlich. »Gott sei seiner Seele gnädig! Ich hab den Mönch brennen sehen, und auch ihn wird der Satan durchs Fegefeuer geleiten!«
Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete Magdalena verwundert, wie ihr Vater ein Kreuz schlug. Das hatte er noch nie gemacht, höchstens bei einem seiner seltenen Kirchgänge. Besorgt legte sie ihm den Arm um die Schultern.
»Geht es dir gut?«, fragte sie, während die Alte am Boden noch immer undeutliches Zeug jammerte.
Jakob Kuisl nickte zögerlich, dann wischte er ihren Arm zur Seite.
»Komm schon«, forderte er Magdalena auf. »Hier kommen wir nicht weiter. Wenn wir deinen Kindern und nun wohl auch deinem Mann helfen wollen, müssen wir uns beeilen.« Er zog eine Fackel aus seinem Beutel hervor, steckte sie an dem noch glimmenden Feuer an und stapfte auf die Höhle zu. Am Gürtel baumelte neben dem Jagdmesser der frisch geschnitzte Knüppel.
»Satan und Fegefeuer hin oder her«, knurrte der Henker. »Diese Burschen haben meine Enkelkinder entführt. Die werden die echte Hölle erst noch kennenlernen.«
In der Bibliothek im Südflügel des Klosters saßen der Prior und der Bibliothekar und lauschten den aufgeregten Worten des Schongauer Bürgermeisters. Die Geschichte, die er ihnen auftischte, war so unglaubwürdig, dass sie schon fast wieder wahr sein konnte.
»Ihr meint also wirklich, es ist der Schongauer Henker, der als falscher Franziskaner bei uns eingebrochen ist?«, hakte Prior Jeremias stirnrunzelnd nach.
Karl Semer nickte eifrig. »Bei den Gebeinen des heiligen Nikolaus, es ist die Wahrheit, Hochwürden! Als ich hörte, dass Ihr einen über sechs Fuß großen Hünen mit Hakennase sucht, habe ich sofort an ihn gedacht. Dieser kleine windige Bader und seine Frau haben es abgestritten, aber heute Mittag haben ich und mein Sohn« – er deutete auf den jungen Sebastian Semer, der mit wichtigtuerischer Miene neben ihm saß – »den Henker mit eigenen Augen auf dem Kirchplatz gesehen. Er ist geflohen, gemeinsam mit dem Bader. Seitdem sind die beiden wie vom Erdboden
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