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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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mit Bruder Eckhart rausräumen und bei mir im Priorat verstecken. Dort sollen sie bleiben, bis dieser Henker geschnappt ist oder Johannes endlich gestanden hat. Schließlich wissen wir immer noch nicht, was dort unten lauert.«
    »Hast du Angst?« Benedikt lächelte kalt.
    »Unsinn! Ich will nur nichts riskieren. Also lass uns das Zeug noch heute wegschaffen.«
    Der Bibliothekar wog sein schütteres Haupt. »Nun gut«, sagte er schließlich. »Sicherer ist es allemal. Außerdem können wir zurzeit ohnehin nicht weitermachen. Jetzt, da Laurentius tot ist, fehlt uns ein geschickter Handwerker.«
    Er humpelte zur Tür. Noch einmal wandte er sich um und musterte nachdenklich Pater Jeremias.
    »Ich möchte wirklich wissen, was den guten Laurentius so zugerichtet hat«, sagte Benedikt düster. »Langsam beginne ich selbst, an dieses Ammenmärchen von einem Golem zu glauben.«
    *
    Im düsteren Loch des Weilheimer Faulturms dämmerte Nepomuk der nächsten Folter entgegen. Er wusste, dass dies das Ende war. Die nächste Befragung würde die letzte sein, er würde gestehen, und dann wäre dieser Alptraum endlich vorbei.
    Vor kurzem oder vor einer Ewigkeit, er wusste es nicht, war Meister Hans mit einigen Salbentiegeln und Verbänden zu ihm gekommen. Der Henker hatte ihm kühlende Tinkturen auf die Arme und Beine gestrichen, er hatte ihm saubere Verbände mit duftendem Balsam umgelegt, doch auch diese Arzneien konnten nicht verhindern, dass Nepomuk mit dem Leben abgeschlossen hatte. Die Schmerzen waren zu groß. Vermutlich würden sie ihn das nächste Mal wieder mit nach hinten gebundenen Armen in die Höhe ziehen oder auf die Streckbank spannen.
    Die bisherigen Torturen hatte Nepomuk nur ausgehalten, indem er die Augen schloss und einmal mehr an die gemeinsamen schönen Tage mit seinem Freund Jakob Kuisl dachte …
    Der Duft des gebratenen Kapauns am Spieß; die Lieder der Landser, die durchs Lager tönen; ein Ritt mit den Pferden durch einen nebelverhangenen Morgen; die fetten Marketenderinnen und die dürren geschminkten Huren, zwischen deren Brüsten man einschläft und den Krieg für ein paar Stunden vergisst; ein Schaukampf mit Jakob, die Richtschwerter schlagen krachend aufeinander … Spürst du es?, fragt ihn Jakob und drückt ihn grinsend mit der Klinge gegen eine verrußte Hauswand. Das ist Gott, Nepomuk! Das ganze Leben, das Schreien, das Singen, Fressen, Saufen und Sterben. Ich brauche keine Kirche zum Beten, mir reichen der Wald und das Schlachtfeld …
    Plötzlich war Nepomuk Rauch in die Nase gestiegen. Als er die Augen öffnete, merkte er, dass es kein Federvieh war, das dort am Spieß brutzelte. Es war sein eigenes Fleisch, das brannte.
    Meister Hans hatte ihm einen glühenden Spieß gegen den rechten Oberarm gepresst.
    Jetzt drückte Nepomuk das Kruzifix, das er sich aus Zweigen und Stroh geflochten hatte, an seine bebende Brust und bereitete sich auf das ewige Leben vor. »Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue …«
    Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er an den Freund dachte. Tief im Inneren spürte er, dass Jakob ihn noch immer nicht im Stich gelassen hatte, dass er noch immer versuchte, Nepomuks Unschuld zu beweisen.
    Doch es war zu spät.
    Morgen in aller Frühe würde Meister Hans kommen, und sie würden unter der Führung des Priors weitermachen. Er würde ihnen alles gestehen, was sie hören wollten. Wenn nötig auch den Mord an der eigenen Mutter, die letzten Unwetter und sämtliche toten, zweiköpfigen Kälber im Pfaffenwinkel. Alles – wenn sie nur endlich aufhörten, ihn zu quälen.
    »Verzeih, Jakob«, flüsterte Nepomuk und küsste das Kruzifix. »Verzeih, mein Herrgott. Ich bin nicht stark genug.«

Sonntag, der 20. Juni Anno Domini 1666,
abends
    as Erste, was Simon vernahm, war das Zwit schern eines Vogels, so lieblich, dass er glaubt e, sich in einem wunderschönen Garten zu befinden, wenn nicht gar im Paradies.
    Er versuchte die Augen zu öffnen, doch seine Lider waren zugeklebt, als wären sie mit Honig beschmiert. Erschrocken wollte Simon sich erheben, aber etwas zog ihn nach unten. Seine Arme mussten gefesselt sein, er schaffte es nicht, sie auch nur einen Fingerbreit anzuheben. Je mehr er sich bemühte, sich zu bewegen, desto mehr kam es ihm vor, als wären seine Glieder nicht gebunden, sondern eher wie mit hartem Lehm umbacken. Auch die Füße, die Beine, der ganze Oberkörper – alles fühlte sich an wie unter einer

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