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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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Schicht Ton, die er nicht durchbrechen konnte.
    Das ist ein Traum! , durchfuhr es ihn. Nur ein Traum. Gleich wache ich neben Magdalena auf, schweißgebadet, aber gesund. Wir lachen gemeinsam über meine kindischen Schreie in der Nacht, dann schauen wir nach den beiden Kleinen und dann …
    Sein Gedankenfluss unterbrach jäh, als Simon einfiel, was in den Stunden zuvor passiert war. Er hatte mit Kuisl vor den Wachen fliehen müssen, dann war er abgestürzt und hatte schließlich diese Höhle im Wald gefunden, aus der die Musik des Automaten klang. Er hatte die Höhle betreten, und dann … Was war dann geschehen?
    Simon versuchte sich zu erinnern, doch von diesem Zeitpunkt an war sein Hirn wie leergefegt.
    Erneut gab er sich alle Mühe, sich zu bewegen, aber noch immer war es ihm nicht möglich, auch nur einen einzigen Finger zu heben. Währenddessen sang der Vogel weiter, sein Zwitschern klang wie das einer Nachtigall, auch wenn mit den Tönen irgendetwas nicht stimmte. Sie klangen seltsam … blechern?
    Simon bemühte sich, ruhig zu atmen. Er hatte solche Traumzustände schon ein paarmal erlebt. Daher wusste er, dass er aufwachen konnte, sobald es ihm nur gelang, sich ein kleines bisschen zu rühren. Also spannte er alle Muskeln an, er fühlte, wie ihm der kalte Schweiß über die Stirn lief – vergeblich. Als er einen letzten verzweifelten Versuch machte, merkte er erleichtert, dass sich wenigstens die Augenlider ein winziges Stück öffneten. Grelles Licht drang durch die schma len Schlitze und ließ ihn innerlich vor Schmerzen aufheulen. Trotzdem hob er die Lider mit aller Kraft weiter an. Es war, als wollte er zwei Felsen verrücken.
    Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, hatte er die Augen vollständig geöffnet. Es dauerte eine Weile, bis ihn die Helligkeit nicht mehr blendete und er – zunächst schemenhaft, dann immer klarer – den Teil eines Raums wahrnehmen konnte. Simon starrte empor zu einer höhlenartigen Felsdecke, an der ein goldener Käfig hing. In diesem Käfig zwitscherte ein kleiner silberfarbener Vogel munter vor sich hin. Eine leichte Kälte war an Simons Rücken zu spüren, offensichtlich lag er direkt auf Steinboden.
    Als der Medicus mit größter Anstrengung die Augäpfel nach unten und zur Seite rollte, konnte er mehr von dem Raum erkennen. Nun sah er eine verwitterte Holztür und rechts und links davon einige Regale, die mit den seltsamsten Gegenständen vollgestellt waren. Einige davon schienen technische Apparate zu sein, andere waren offensichtlich natür­lichen Ursprungs. Im Licht einiger an der Wand befestigter Fackeln wirkten sie auf Simon so gespenstisch, als stammten sie direkt aus der Hölle.
    Oder ist das hier vielleicht die Hölle?
    Ein nur faustgroßer mumifizierter Schädel grinste ihn mit gebleckten Zähnen von einem staubigen Samtkissen aus an. Ein meterlanges gewundenes Horn erinnerte den Medicus an die Geschichten über Einhörner. Daneben lagen seltsame monströse Tierschädel, einer davon hatte eine Art Dorn anstelle der Nase. Es gab ein kindskopfgroßes bräunliches Ei, gedrechselte Muscheln, elfenbeinverzierte Schatullen, einige Kristalle, aber auch ein goldenes Astrolabium und einen jener berühmten Globen, auf dem die Welt in Form einer Kugel dargestellt war.
    Gern hätte Simon sich gezwickt, um zu überprüfen, was Wirklichkeit und was Einbildung war, doch dafür hätte er die Hände bewegen müssen. Er versuchte den Mund zu einem Hilfeschrei zu öffnen und spürte, wie er nur krampfhaft die Lippen hochzog – wie ein Wolf, der die Zähne bleckte. Das Gesicht verzerrt zu einer krampfhaften Grimasse, hörte er nun ein weiteres Geräusch, das rasch näher kam.
    Es war die mittlerweile so vertraute Melodie des Automaten.
    Sie wurde begleitet von einem Quietschen und Rattern. Erst nach einer Weile begriff Simon, dass das Geräusch von kleinen Rädern stammte. Es waren die Räder der Puppe namens Aurora, die noch vor einigen Tagen im Labor des Uhrmachers auf und ab gerollt war. Damals hatte Simon dieses Rollen, und auch die Melodie, bemerkenswert gefunden, ein Wunderwerk der Technik. Jetzt kam ihm das Lied so erschreckend vor, dass sich ihm trotz seiner Lähmung die Nackenhaare aufstellten.
    Simon rollte verzweifelt mit den Augen und konnte auf diese Weise beobachten, wie die Tür aufging und der lebensgroße Automat ins Zimmer rumpelte. Noch immer sah Aurora so schön aus wie bei ihrer ersten Begegnung im Haus des Uhrmachers. Das rote Ballkleid flatterte

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