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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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erwiderte Kuisl nachdenklich. »Es kam sogar zum Streit, weil Nepomuk nichts verraten wollte. Virgilius meinte, er kenne jemanden, der mehr darüber wissen will. Offenbar hat dieser Jemand auch das Notizbuch gestohlen.«
    »Der Hexer!« Magdalena spürte, wie die kalte muffige Luft sie frösteln ließ. »Meinst du, er hat Virgilius und die zwei Gehilfen umgebracht und dafür gesorgt, dass Nepomuk auf dem Scheiterhaufen landet, nur weil er hinter diesen Blitzbannern her war?«
    Der Henker wiegte den Kopf. »Ich weiß nicht. Bislang hat unser Unbekannter doch alles getan, um an die Heiligen Drei Hostien zu kommen. Wie passt das alles zusammen?« Er seufzte. »Schad, dass der entführte Uhrmacher nun tatsächlich tot im Brunnen gefunden wurde. Ich bin sicher, er hätte uns einiges darüber erzählen können.«
    Magdalena wollte gerade etwas erwidern, als von fern plötzlich ein Rumsen und Schaben zu hören war. Das Geräusch schien aus der Richtung zu kommen, in der der Gang weiterführte.
    »Schaut ganz so aus, als ob wir Besuch bekommen«, brummte Kuisl und griff nach dem frisch geschnitzten Knüppel, der neben dem Jagdmesser noch immer an seinem Gürtel hing. »Nun, dann wollen wir die Gäste auch standesgemäß begrüßen.«
    Zu Stein erstarrt, blickte Simon auf die lebensgroße Puppe, die in der Mitte des Raums stand und ihre roten Lippen öffnete. Es klackte und ratterte, während die Worte wie bei einem Menschen aus ihr herausflossen.
    »Dieses Gift ist erstaunlich, nicht wahr?«, sagte Aurora. Ihre hohe Stimme klang seltsam heiser, beinahe kieksend. Simon war sich sicher, sie schon einmal gehört zu haben. Aber in seiner Angst konnte er sich nicht erinnern, wann das gewesen war.
    »Ich habe es von einer meiner vielen Reisen mitgebracht«, fuhr die Puppe fort. »Das Gift stammt aus Westindien. Die Eingeborenen dort benutzen es zur Jagd, auch auf Menschen. Eigentlich führt es sofort zum Tod, aber offensichtlich hat es die lange Fahrt nicht unbeschadet überstanden. Wobei es so natürlich viel interessanter ist.«
    Auroras Mund klappte auf und zu, so als würde sie nach Luft schnappen. »Ich überlege wirklich, ob ich meine Experimente nicht zuerst an Euch durchführen soll«, sagte der Automat mit heiserer Stimme. »Schließlich seid Ihr in Eurem jetzigen Zustand auch so etwas wie eine leblose Puppe. Es wäre interessant zu sehen, ob es mir gelingt, Euch Leben einzuhauchen. Aber vermutlich würde mir dazu die Zeit fehlen. Der Augenblick, in dem Natur und Glauben diese einzigartige Synthese eingehen, ist einfach zu kurz.«
    Einmal mehr versuchte Simon, seine Glieder von dem kalten, harten Steinboden zu erheben oder wenigstens den Kopf zu drehen. Doch es war unmöglich. Sein ganzer Körper war gelähmt, den Automaten konnte er nur aus dem Augenwinkel sehen. Hinzu kam das Grauen, das es ihm fast unmöglich machte, einen vernünftigen Gedanken zu fassen.
    Das kann nicht sein! , hämmerte er sich immer wieder verzweifelt ein. Ein Automat kann nicht denken und ­sprechen. Oder etwa doch? Ist dies vielleicht wirklich der ­berüchtigte Golem? Beschworen von seinem Meister Virgilius, der dem Wesen dann selbst zum Opfer gefallen ist?
    Simon starrte an die Decke, wo noch immer der Vogel zwitscherte. Endlich war ihm eingefallen, was ihn die ganze Zeit schon irritiert hatte. Die Melodie des Vogels war nichts weiter als eine Abfolge ewig gleicher Töne, die silberfarbene Nachtigall kein Lebewesen, sondern nur ein hübsches Spielzeug. Die leblosen Schädel von namen­losen Monstren glotzten den Medicus von den Regalen aus an, die technischen Apparate dazwischen wirkten kalt und feindselig wie von einem anderen Stern.
    Plötzlich konnte Simon von irgendwoher ein leises Wimmern hören. Es war ein Weinen und Jammern, das ihm nur allzu vertraut war. Sein Herz machte einen Sprung, als er erkannte, wer dort weinte.
    Peter und Paul! Mein Gott, da drüben sind meine Kinder!
    Simon wollte ihren Namen rufen, doch sie blieben ihm buchstäblich in der Kehle stecken. Nicht einmal ein Krächzen brachte er heraus.
    »Oh, offensichtlich sind die beiden Kleinen aus ihrem tiefen Schlaf erwacht«, meldete sich erneut die lächelnde Aurora. »Keine Angst, mein treuer Gehilfe hat ihnen nur ein wenig Gebäck mit Mohn verabreicht. Ich brauche die Kinder schließlich noch. Man kann nie wissen, was ihrem störrischen Großvater noch so alles einfällt, nicht wahr?« Die Stimme wurde jetzt noch schriller, der Hass darin schien so gar nicht zu der

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