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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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ins Leere. »Im Krieg haben wir oben im Sächsischen mal selber eine Burg aus­geräuchert«, fuhr er leise fort. »Das war ein Schreien und Hauen! Die letzten Burgbewohner waren störrisch wie Maulesel und haben sich in den felsharten Hauptturm zurückgezogen. Als wir den Bergfried dann endlich nach zwei Wochen gestürmt haben, war kein Mensch mehr drin. Alle sind sie durch einen solchen Tunnel geflohen.«
    »Und was schlägst du nun vor?«, fragte Magdalena ungeduldig. Sie mochte es nicht, wenn ihr Vater mit den alten Kriegsgeschichten anfing. »Wir können ja schlecht wie ­euresgleichen damals brüllend und säbelrasselnd dort oben einfallen. Zumal die Platte über uns ziemlich dick aussieht.«
    Der Henker zuckte mit den Schultern. »Dein Vater ist zwar nicht mehr der Jüngste«, knurrte er. »Aber solang ich noch mein Richtschwert heben kann, heb ich dir auch eine solche vermaledeite Platte. Geh du nur solang zur Seite.«
    Kuisl steckte die Fackel in eine Felsritze und sah sich nach einigen größeren Steinen um. Dann begann er das Geröll auf einen Haufen zu schichten, wobei er sich noch mehr beschmutzte. Als der Schuttberg eine gewisse Höhe erreicht hatte, stieg er vorsichtig hinauf und stemmte beide Hände gegen die Platte. Mit einer Mischung aus Spannung und Entsetzen sah Magdalena ihm dabei zu. Immer wieder horchte sie, ob zwischen dem Schleifen und Rumsen auch Kinderweinen zu vernehmen war, doch dafür waren die anderen Geräusche zu laut.
    »Und was, wenn der Hexer oder wer auch immer sieht, wie du die Platte zur Seite schiebst?«, fragte sie ängstlich ihren Vater.
    »Neunmalkluge Dirn!«, ächzte Kuisl, während die Adern auf seinen Oberarmen wie dünne Seile hervortraten. Schweiß­perlen rannen ihm über die lehmverschmierte Stirn. »Weißt du was Besseres? Also sei jetzt still!«
    Nach einer Weile hob sich knirschend die Steinplatte, und der Henker schob sie einen Spaltbreit zur Seite. Herrisch winkte er Magdalena zu sich heran.
    »Schnell! Kletter auf meine Schultern, und sag mir, was du siehst!«, flüsterte er.
    Magdalena zögerte kurz, dann stieg sie auf den Rücken ihres Vaters, so wie sie es als Kind immer gern getan hatte. Noch immer waren Kuisls Schultern so breit und stark wie das Joch eines Ochsen. Die Henkerstochter schwankte ein wenig, dann hatte sie Halt gefunden. Vorsichtig schob sie ihren Kopf durch den Spalt.
    »Und?«, zischte Jakob Kuisl unter ihr. »Siehst du die Kinder?«
    Magdalena brauchte eine Weile, bis sie sich nach der Dunkelheit des Tunnels an die Helligkeit oben gewöhnt hatte. Schließlich erkannte sie einen gewaltigen kreisför­migen Raum, dessen Wände aus grobgehauenen Granitsteinen bestanden. Auch die kuppelförmige Decke, die sich etwa drei Meter darüber wölbte, war aus massivem Stein gefertigt. Mindestens ein Dutzend Fackeln erhellten ein Chaos aus Kisten, Truhen und Tischen, auf denen sich ­einige nicht genau erkennbare Gegenstände befanden. Zwischen den Kästen huschten drei Männer in schwarzen Kutten hin und her. Ganz offensichtlich waren es Mönche des Klosters.
    Zwei von ihnen vernagelten gerade einen der Behälter und schleppten ihn dann ächzend eine kreisförmige Steintreppe hinauf, die in den Granit geschlagen war und zu einem Durchgang unterhalb der Decke führte. Ein weiterer Mann inspizierte den Inhalt der noch offenen Kisten. Alle drei hatten ihre Gesichter abgewendet, so dass Magdalena sie nicht erkennen konnte. Von der verschobenen, hinter den Kisten halb verborgenen Steinplatte in der Mitte des Raumes hatten die Mönche noch nichts bemerkt.
    »Beeilt euch gefälligst!«, ertönte nun die schrille Stimme desjenigen, der am nächsten bei Magdalena stand. Er hielt sich keuchend an einer der Kisten fest, offensichtlich hatte ihn die Arbeit sehr angestrengt. »Wird Zeit, dass wir hier rauskommen. Die Abendmesse fängt bald an.«
    »Wenn du beim Tragen mitgeholfen hättest, wären wir schon längst fertig«, meldete sich einer der beiden Mönche von der Treppe aus. »Außerdem hab ich dir schon ein Dutzend Mal gesagt, dass ich es leid bin, von dir Befehle entgegenzunehmen!«
    »Ach, wer hatte denn die Idee, das Zeug hier fort­zuschaffen?«, keifte der Erste. »Das warst doch du, du ­Hasenfuß!« Er lachte hysterisch und gab seiner Stimme einen mädchenhaften Klang. »Uh, ich kann den Golem schon hören. Er kommt, um uns zu holen!«
    »Lass das!«, meldete sich nun der zweite Mönch auf der Treppe. Er klang weinerlich, wie ein ängstliches Kind.

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