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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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zerbrechlichen Puppe zu passen. »Ihr habt Euch das alles selbst zuzuschreiben!«, schrie sie. »Was müsst Ihr auch Eure Nasen in Dinge stecken, die Euch nichts angehen? Alles, was ich brauchte, waren die Hostien. Aber nein, Ihr musstet ja unbedingt den guten Maurus dazu überreden, Euch weiter schnüffeln zu lassen!«
    Das Wimmern der Kinder wurde nun stärker, es kam offensichtlich aus einem Raum gleich nebenan. Simon hörte , wie Peter laut zu weinen anfing. Der kleine Paul schrie nach seiner Mutter. Der Medicus glaubte, sein Brustkorb müsste zerspringen. Seine Kinder hatten schreckliche Angst, sie waren ganz in seiner Nähe, und er konnte ihnen nicht helfen!
    »Die Armen!« Auroras Stimme war jetzt voller Mitgefühl, auch wenn ihr Mund weiter lächelte. »Die Kleinen rufen nach ihrer Mutter, dem Miststück. Ein paarmal hätte mein Helfer sie fast erwischt. Einmal oben auf dem Turm, dann mit der Windbüchse und schließlich mit dem Kalksack. Warum hat sie meine Warnungen nicht verstanden? Aber offensichtlich ist sie ebenso stur wie ihr Vater.«
    Zum ersten Mal fiel Simon etwas auf. Bisher war Auroras Gesicht, das er nur aus den Augenwinkeln wahrnahm, kaum mehr als ein unscharfer Schatten gewesen. Doch nun war es ihm gelungen, den Kopf um ein paar Millimeter zu drehen, so dass er Aurora besser betrachten konnte. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag.
    Der Mund der Puppe bewegte sich auch dann, wenn sie nicht redete.
    »Ich glaube, wir sollten den zwei Kleinen jetzt erlauben, ihren Vater zu sehen«, erklang die heisere Stimme aus der Richtung des Automaten. »Was meinst du, Aurora? Du bleibst hübsch hier, und ich lasse die Kinder aus ihrem Käfig. Was werden sie wohl zu einem Vater sagen, der nichts weiter als eine steife Puppe ist?«
    Schritte erklangen, während der Mund des Automaten weiter auf und zu klappte. Ganz am Rande seines Blick­feldes sah Simon den Schatten eines Mannes im Nebenraum verschwinden.
    Aurora knackte, quietschte und ratterte. Ihre Lippen bewegten sich stetig. Doch sie sprach nicht.
    Es war der Hexer, der die ganze Zeit gesprochen hatte.
    Magdalena hielt den Atem an und lauschte, als einmal mehr das Rumsen und Schleifen erklang. Noch immer stand sie mit ihrem Vater in der ehemaligen Kloake der Andechser Burg. Jakob Kuisl hatte noch schnell Nepomuks Notizbüchlein und das Buch mit den merkwürdigen Zeichnungen in seinen Beutel gesteckt und horchte nun aufmerksam auf das Geräusch.
    »Das kommt nicht näher«, brummte er. »Hört sich eher so an, als würde irgendjemand ein paar schwere Kisten ­verschieben.« Der Henker wandte sich dem torförmigen Ausgang zu. »Komm, das schauen wir uns an. Vielleicht will der Hexer ja samt seinem Teufelslabor das Weite suchen.«
    Hintereinander eilten sie den niedrigen Felsengang entlang. Mittlerweile hatte Magdalena das Gefühl, dass sie bereits das halbe Kiental durchquert hatten. Wo mochten sie sich derzeit befinden? Unter dem Kloster? Irgendwo tief unter dem Wald? Es war ihr unerklärlich, wieso ihr Vater in dieser Umgebung nicht die Orientierung verlor. Der Henker war für die engen, niedrigen Gänge eindeutig zu groß. Immer wieder schrammte sein mächtiger Körper an den Felsen entlang, so dass sein Hemd und auch die Hose mittlerweile die Farbe von Kalk, Schmutz und Stein angenommen hatten.
    Das Schleifen wurde lauter und lauter, schließlich schien es direkt über ihnen zu sein. Sie bogen um eine weitere Ecke und prallten jäh zurück.
    Vor ihnen lag das Ende des Ganges.
    Die Henkerstochter starrte auf eine Wand aus hartem Granit. Ein kleines Rinnsal tröpfelte aus dem Stein vor ­ihnen und floss zu einer schmutzigen Pfütze zusammen; winzige Kiesbrocken rieselten zu Boden.
    »Na wunderbar!«, keuchte sie. »Wir sind in eine Sackgasse gelaufen. Am besten, wir kehren um und …«
    Magdalena stockte, als sie sah, wie ihr Vater den Finger vor den Mund legte und bedeutungsvoll nach oben zeigte. Als sie den Kopf nach hinten beugte, konnte sie direkt über sich eine Steinplatte im Fels erkennen. Im Gegensatz zu dem Gestein daneben wirkte die Platte merkwürdig hell, so als wäre sie erst vor kurzem dort eingesetzt worden. Von der anderen Seite her erklang das Schleifen.
    »Ich glaub, ich weiß, wo wir sind«, flüsterte der Henker und deutete auf den festen Granit um sie herum. »Wenn das hier früher mal der Fluchttunnel der Burg war, dann stehen wir jetzt wahrscheinlich direkt unter dem ehe­maligen Keller des Bergfrieds.« Sein Blick ging kurz

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