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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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eine Weile brauchte, um zu erfassen, was ihr Vater gerade eben gesagt hatte. »Das was?«, fragte sie perplex.
    »Das Scheißhaus. Oder vielmehr die Kloake darunter.« Der Henker schritt auf den Haufen zu und begann darin herumzuwühlen. Schwärzliche Brocken rieselten zwischen seinen Fingern hindurch. Prüfend sah Kuisl nach oben, wo sich ein kreisrundes verkrustetes Loch in der Decke befand.
    »Vermutlich war dort oben irgendwann einmal ein heimliches Gemach für Ihre Exzellenzen.« Kuisl grinste. »Auf dem Donnerbalken sind wir alle gleich, nicht wahr? Egal, ob Edelmann, Mönch oder Schinder.«
    Magdalena blickte ihn verständnislos an. »Aber warum leuchtet hier alles? Der Tisch, die Schüsseln, diese Brocken …«
    »Weil der Hexer hier sein Höllenfeuer hergestellt hat«, erwiderte Kuisl. »Sowohl der Gehilfe Vitalis wie auch ­Pater Laurentius, beide sind mit Phosphor übergossen worden. Erinner dich, was der Simon gesehen hat, als er im Bierkeller die Leichen untersuchen wollte.«
    »Das Leuchten!«, rief Magdalena. »Natürlich! Du hast von diesem Phosphor erzählt. Er schimmert grünlich, und er brennt wie Zunder. Aber wozu braucht man dafür eine Kloake?«
    »Weil man Phosphor nun mal aus eingedampftem Urin herstellt.« Angewidert ließ Jakob Kuisl die versteinerten Kotklumpen fallen. »Aus viel Urin. Vermutlich ist das hier die Pisse von mindestens einem Dutzend Generationen ­hoher Herrschaften. Der Hexer muss diese Kloake gefunden und für seine Zwecke genutzt haben.«
    Neugierig kam Magdalena mit ihrer Fackel näher, doch ihr Vater hielt sie am Arm zurück.
    »Pass bloß auf«, knurrte er. »Dieses Zeug fängt schneller Feuer, als du amen sagen kannst. Und bei der Menge, die hier rumliegt, kannst du damit den ganzen Berg in die Luft fliegen lassen.«
    Kuisl wandte sich dem Tisch zu. Prüfend glitt sein Blick über die Mörser, Destillierkolben und Tiegel und blieb schließlich an den Büchern hängen. Wahllos griff der Henker nach einem besonders verwitterten Exemplar.
    »Das hier ist in Hieroglyphen geschrieben«, murmelte er. »Scheint sehr alt zu sein. Merkwürdig, so etwas hab ich noch nie gesehen …« Er legte es zur Seite und griff nach einem weiteren Buch. Auch dieses war in einer Magdalena unbekannten Sprache verfasst. Schließlich wandte sich Kuisl dem aufgeschlagenen Buch direkt vor ihm zu. Als er in dem mit Kalbsleder eingeschlagenen Band zu blättern begann, pfiff er leise durch die Zähne.
    »Wenn ich nicht wüsste, dass dieses Werk von einem Mörder und Verrückten ist, würd ich mich vor dem Mann verneigen. Schau selbst.«
    Neugierig näherte sich Magdalena und betrachtete die kunstvoll beschriebenen Seiten. Sie sah lateinische Notizen mit blutroten Lettern und schwungvollen Initialen, Zeichnungen von Puppen, einzelnen menschlichen Extremitäten und rätselhaften Apparaten, deren Funktion ihr unklar blieb. Auf anderen Seiten standen seltsame Formeln, Rechnungen oder Mengenangaben. Das Ganze wirkte auf Magdalena, als hätte Satan persönlich seine eigene Bibel geschrieben.
    »Bemerkenswert«, flüsterte Jakob Kuisl beinahe ehrfurchtsvoll. »Das hier ist ein Sammelsurium von jeder Art von geheimem Wissen. Ein wenig wie das ›De occulta philosophia‹ von Agrippa, nur viel rätselhafter. So etwas hab ich noch nie gesehen. Wer immer das geschrieben hat …«
    Er hielt inne und deutete aufgeregt mit dem Finger auf eine der hinteren Seiten, auf der einige Blitze abgebildet waren, die in ein Hausdach einschlugen. Eine Art Seil oder Draht führte an der Wand entlang bis zu der Skizze eines Menschen. Darunter standen drei lateinische Worte: Tornitrua et fulgura.
    Blitz und Donner.
    »Nepomuks Idee von den Blitzbannern!«, stieß der Henker hervor. »Er hat mir im Kerker davon erzählt, erinnerst du dich? Genauso hatte er mir die Banner damals beschrieben, und von ihm stammen auch diese lateinischen Worte. Das kann eigentlich nur heißen …« Aufgeregt kramte er zwischen den Büchern, schließlich hielt er triumphierend ein weiteres Notizbuch in den Händen.
    »Ha, dacht ich mir’s doch!«, rief er. »Nepomuks Notizbuch. Ich erkenn es an der Schrift.«
    Magdalena runzelte die Stirn, der beißende Gestank machte es ihr schwer, klar zu denken. »Nepomuks Notizbuch?«, fragte sie. »Aber Nepomuk sitzt in der Weilheimer Fronveste. Wie kommt dieses Büchlein also hierher?«
    »Der gute Nepomuk hat mir damals erzählt, dass der Uhrmacher Virgilius sich sehr für die Blitzbanner interessierte«,

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