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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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braune Schlieren.
    Der Henker sah aus wie ein Wesen, das direkt der Hölle entstieg.
    Die lebensgroße steife Puppe starrte herab auf Simon, der sich noch immer verzweifelt bemühte, sich zu bewegen.
    Mittlerweile hatte er es geschafft, den Kopf auf dem Steinboden so weit zu drehen, dass er nun direkt auf die gegenüberliegende Tür blicken konnte. Seine offenstehenden Augen waren so ausgetrocknet, dass sie wie Feuer brannten. Trotzdem starrte er weiter auf den Eingang, hinter dem leise trappelnde Schritte ertönten. Kurz darauf tauchten seine beiden Kinder auf. Sie hatten rote, verheulte Gesichter, ihre Hemden waren zerrissen und schmutzig, doch ansonsten schienen sie unversehrt.
    »Papa!«, rief der ältere Peter und stolperte auf Simon zu. Die kleinen Händchen hatte er ausgestreckt, so als erwartete er, sein Vater würde jeden Moment aufspringen und ihn in die Arme schließen. Doch Simon blieb liegen, das Gesicht zu einer grinsenden Grimasse verzerrt.
    »Papa?« Peter stand nun vor ihm, seine Finger fuhren über Simons schweißverklebte Stirn. Die Augen des Medi cus waren noch immer weit aufgerissen. »Papa, schläfst du?«
    Auch der kleine Paul hatte nun seinen Vater erreicht. Er krabbelte auf Simons Brust und presste seinen Kopf zärtlich dagegen. Sonst hatte Simon ihn dann immer so lange gestreichelt, bis er eingeschlafen war. Doch nun lag er unter seinem Sohn wie ein totes Stück Fleisch. Paul fing an zu weinen.
    »Seid nicht traurig, Kinder«, ertönte von jenseits des Durchgangs die heisere Stimme. »Ihr müsst noch viel lernen in eurem Leben. Jeder muss einmal sterben, auch euer Vater. Aber wenigstens könnt ihr ihn noch einmal aus­giebig betrachten und in Erinnerung behalten. Auch ich habe meine Liebste noch einmal lange angesehen, bevor Gott sie mir schließlich nahm. Doch diesmal werde ich Gott ein Schnippchen schlagen. Sagt ihm adieu, Kinder. Es wird Zeit für euch zu gehen.«
    Die Stimme war nun lauter geworden, weil der Unbekannte in den Raum getreten war. Er näherte sich seitlich, so dass Simon erst im letzten Moment sein Gesicht erkannte.
    Als der Medicus diesmal schreien wollte, entwich seiner Kehle ein leises Pfeifen. Der Schrecken war so gewaltig, dass die Lähmung tatsächlich für einen kurzen Moment aussetzte.
    Der Mann über ihm stammte tatsächlich aus der Unterwelt.
    Mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Entsetzen beobachtete Magdalena, wie ihr mit Lehm und Kalk beschmierter Vater den Knüppel zog und drohend auf Pater Eckhart zuschritt.
    »Wo sind die Kinder?«, brummte er. »Red schon, du fetter Schwarzkittel, bevor ich dich und die anderen Haderlumpen in die Hölle schick.«
    »Welche … welche Kinder?« Bruder Eckhart war sichtlich verwirrt. Bislang war er felsenfest überzeugt gewesen, vor ihm stehe der leibhaftige Golem. Doch nun fragte ihn dieser Golem merkwürdige Dinge, noch dazu in breitestem Bayerisch. Magdalena konnte förmlich sehen, wie es in Eckharts kleinem Mönchshirn arbeitete.
    Der greise Bibliothekar war in der Zwischenzeit die Treppe hinaufgelaufen, wo er nun neben Pater Jeremias stand und ungläubig auf die Szenerie zu seinen Füßen starrte. Schließlich fing er an, hysterisch zu lachen.
    »Verflucht, Eckhart!«, rief er. »Das ist kein Golem. Das ist der gleiche Mann, den ich in Laurentius’ Zelle beim Schnüffeln ertappt habe. Dieser sturschädlige Schongauer Henker, ein Wesen aus Fleisch und Blut! Beinahe hätte ich selber an diesen Blödsinn von einem Golem geglaubt.«
    Auch der Andechser Prior schien sich mittlerweile gefasst zu haben. Nervös blickte er hinüber zum Ausgang, so als überlegte er, einfach davonzulaufen. Doch dann fasste er offensichtlich einen Entschluss. Er nestelte an seiner Kutte und zog plötzlich eine Pistole darunter hervor.
    »Bleib, wo du bist, Henker!«, schrie er hinunter in den Bergfried. »Wir haben nicht jahrelang geschuftet, um uns nun alles von einem schmutzigen Bauerntölpel kaputt­machen zu lassen. Nur einen Schritt näher, und ich schieß dich nieder wie einen tollen Hund!«
    Der alte Bibliothekar an Jeremias’ Seite schien einen Moment verdutzt über den Auftritt seines Mitbruders, doch dann zog sich ein feines Lächeln über seine Lippen.
    »Schau an, Jeremias«, schnurrte er, »so viel Tatkraft hätte ich dir gar nicht zugetraut. Vielleicht habe ich dich doch all die Jahre unterschätzt. Wo hast du als bettelarmer Mönch denn diese schöne Waffe her?«
    »Das spielt jetzt keine Rolle«, blaffte der Prior.

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