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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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vorbeizukommen. Wer gibt uns Gewähr, dass du uns nicht beim Rat verpfeifst?«
    »Ihr habt mein Wort.«
    »Das Wort eines Henkers? Drauf geschissen.«
    Gelächter ertönte, und der Bäcker blickte sich selbst­sicher nach seinen Gefährten um.
    »Na, was ist? Magst vielleicht für deine Schrazn einen Sack Korn aus dem Stadl, Kuisl?«, fuhr Berchtholdt hämisch fort und deutete auf die Enkel des Henkers. »Damit sie mal genauso fette, räudige Scharfrichter wie ihr Großvater werden?«
    »Du meinst, damit sie Strauchdieben und Haderlumpen wie dir irgendwann den Strick umlegen und sie oben am Galgenhügel baumeln lassen«, erwiderte Jakob Kuisl mit ruhiger Stimme. »Das ist jetzt schon das zweite Mal, dass ich dich beim Diebstahl erwisch, Berchtholdt. Darauf steht der Strick. Geht allesamt heim, oder es geschieht ein Unglück. Wenn der Gerichtsschreiber das erfährt, macht er mit euch kurzen Prozess.«
    Hans Berchtholdt biss sich auf die Lippen. Das war nicht die Antwort, die er erwartet hatte. Dieser alte Bock war eindeutig viel zu vorlaut.
    »Und wer ist Zeuge, hä?«, zischte er. »Vielleicht du, Henker?« Er lachte, und es klang wie das Meckern einer Ziege. »Ein Ehrloser, der vor dem Rat aussagt! Glaubst du wirklich, dass der Gerichtsschreiber sich das anhört? Oder sollen vielleicht die zwei Bälger greinen und brabbeln?« Wieder ertönte das Meckern, in das nun auch andere der Männer einfielen. »Wo ist überhaupt ihre lausige Mutter, hä?«, fuhr er mit überschlagender Stimme fort. »Sie und dieser Quacksalber! Sollten sie nicht selbst auf ihre Bälger aufpassen, damit ihnen nichts passiert? Wo sind sie denn, na?«
    »Du weißt genau, wo sie sind«, murmelte Jakob Kuisl. »Also lass mich jetzt durch, und …«
    »Die ganze Stadt war dagegen, dass eine Ehrlose auf Wallfahrt geht!«, krähte nun der Mittlere der Berch­tholdts. Mit seinen neunzehn Jahren war er größer als die meisten anderen, sein zornroter Kopf fuhr wie bei einer Schlange nach vorne. »Eine Henkerstochter, die mit ehrbaren Bürgern zum Heiligen Berg pilgert, noch nie hat es das gegeben! Noch nie! Und nun sieh dir an, was uns der Herrgott als Strafe schickt: Regen und Hagel, der die Felder verheert. Und Mäuse, die unsere Saatkörner auffressen!«
    »Das gibt euch noch lange nicht das Recht, in den Zimmerstadel einzubrechen und Getreide zu stehlen.«
    »Das Getreide dieser reichen Augsburger Pfeffersäcke? Der bockfüßige Teufel soll sie allesamt holen! Bei allen vierzehn Notheiligen, wir holen uns nur, was uns ohnehin zusteht.«
    Jakob Kuisl seufzte leise. Josef Berchtholdt hatte das ­Bigotte eindeutig von seinem verstorbenen Vater geerbt. Doch tatsächlich waren über Schongau in letzter Zeit ­einige schlimme Unwetter niedergegangen, und die Mäuse waren zu einer echten Plage geworden. Viele der Felder waren beinahe kahl gefressen. Der Henker hatte seine Tochter gewarnt, mit den anderen Bürgern auf Wallfahrt zu gehen; er wusste, dass es Getratsche geben würde. Aber sie hatte wie so oft nicht auf ihn hören wollen. Jetzt stand Jakob Kuisl hier mit seinen ­Enkeln unten am Lech und sah sich einem wütenden Mob gegenüber, der nur allzu gern eine Schlägerei angezettelt hätte.
    »Wo ist denn dein Henkerschwert, Kuisl?«, keifte jetzt einer der Burschen. »Hast es wohl zu Haus vergessen? Oder willst dir eines schnitzen?« Wieder ertönte hämisches Gelächter. Murrend und zischend schob sich die Meute auf den Scharfrichter zu, der mit dem Rücken zum Zimmerstadel stand.
    »Hätte nicht gedacht, dass du dich mit solchem Pack einlässt, Berchtholdt«, knurrte Jakob Kuisl. »Dein Vater würd sich im Grab umdrehen.«
    »Halt’s Maul, Henker!«, schleuderte ihm der Bäckersohn entgegen. »Wenn mein Vater noch lebte, würd er die ganze Kuisl-Bande aus der Stadt prügeln.«
    »Ich bin hier der, der die Leute aus der Stadt prügelt, Berchtholdt. Vergiss das nicht.«
    Abschätzend musterte der Henker die Gruppe junger Männer, die ihm den Weg versperrten. Mit seinen vierundfünfzig Jahren war Jakob Kuisl nicht mehr der Jüngste, trotzdem hatten die Menschen noch immer Angst vor ­seinem Zorn und seiner Kraft. Sie hatten gesehen, wie er einem Räuberhauptmann die Knochen einzeln gebrochen und verurteilten Mördern mit sicherem Hieb den Kopf ­abgeschlagen hatte. Kuisls blutiger Ruf reichte weit über die Stadt hinaus, trotzdem spürte der Henker, dass seine Autorität zu bröckeln begann. Heute würden kein lautes Wort und kein schneller Hieb

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