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Der Hexer und die Henkerstochter

Der Hexer und die Henkerstochter

Titel: Der Hexer und die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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mehr ausreichen, um das Pack zu vertreiben.
    Vor allem nicht mit zwei brabbelnden, daumenlutschenden Hosenscheißern auf dem Arm.
    »Ich sag dir was, Kuisl!«, zischte Hans Berchtholdt, und ein böses Lächeln spielte um seine Lippen. »Du neigst jetzt dein Haupt und bittest demütig um Vergebung für deine Tochter, das nichtsnutzige Henkersweib. Dann lassen wir euch drei vielleicht laufen.«
    Hämisches Lachen brandete auf. Der kleine Peter fing zu weinen an, und es dauerte nicht lange, bis auch sein jüngerer Bruder in das Gewimmer einfiel. Jakob Kuisl schloss die Augen und versuchte ruhig zu atmen. Sie wollten ihn reizen, doch er durfte die Kinder nicht gefährden. Was also sollte er tun? Eine Rauferei wollte er seiner Enkel wegen nicht riskieren. Um Hilfe rufen? Bis zur Stadt war es ein ganzes Stück, und das Rauschen des Flusses würde vermutlich jeden Schrei übertönen. Also doch auf die Forderungen Berchtholdts eingehen?
    Reumütig senkte Jakob Kuisl sein Haupt. »Ich bitte …«, begann er leise.
    Hans Berchtholdt grinste, seine Augen glitzerten wie Eisbrocken. »Demütig!«, zischte er. »Du bittest demütig!«
    »Ich bitte demütig«, fuhr der Henker fort. Er machte eine Pause, dann sprach er tonlos weiter: »Ich bitte demütig, dass der Herrgott mir Kraft gibt, einen derartig großen Haufen depperter, vernagelter Hundsfotte zu ertragen, ohne ihnen die Köpfe einzuschlagen. Und jetzt lasst mich um der Hei­ligen Jungfrau willen durch, bevor ich dem Ersten von euch die Nas ’ n brech.«
    Ein entsetztes Schweigen trat ein. Es war, als könnten die jungen Gesellen nicht glauben, was sie soeben gehört hatten. Endlich fing sich Hans Berchtholdt wieder.
    »Das … das wird dir noch leidtun«, sagte er mit leiser Stimme. »Wir sind über ein Dutzend, und du bist ein alter Mann mit zwei Kindern auf dem Arm. Jetzt werden die kleinen Bastarde gleich erleben, wie ihr Großvater sehr große Schmerzen …«
    Er brach ab und fasste sich schreiend an die Stirn. Blut quoll unter seiner Hand hervor. Nun brüllten und jammerten auch andere Burschen, sie suchten hinter Karren und Fässern Deckung, während ein Hagel Steine auf sie niederprasselte. Jakob Kuisl blickte sich suchend um. Endlich entdeckte er oben auf dem Dach des Zimmerstadels eine Horde Kinder und Halbwüchsiger, die Kiesel und harte Lehmbrocken auf die Meute niederregnen ließen.
    Ganz vorne am Dachfirst stand Kuisls dreizehnjähriger Sohn Georg mit einer Schleuder in der Hand.
    Der Henker erschrak. Was hatte der Rotzlöffel hier zu suchen? Sollte er nicht den Schinderkarren im Stall säubern? Reichte es nicht, wenn die beiden Enkelkinder in Gefahr waren?
    Kuisl wollte bereits zu einer Strafpredigt ansetzen, als ihm bewusst wurde, dass sein Sohn ihm womöglich gerade das Leben rettete. Noch einmal blickte er hinauf zum Dachfirst. Georg Kuisl sah sehr groß aus für sein Alter, alles an ihm schien wie aus rohem Fels gehauen. Um seine Lippen spross ein erster Flaum, Hemd und Hose schienen viel zu klein für den klobigen Körper.
    Wie ich früher , dachte Kuisl. Er ist beinahe so alt wie ich damals im Krieg. Mein Gott, jetzt muss mich schon mein eigener Bub aus der Schlinge ziehen. Jakob, du wirst alt …
    »Lauf, Vater!«, schrie Georg. »Jetzt!«
    Jakob Kuisl schüttelte die düsteren Gedanken ab, packte seine beiden greinenden Enkelkinder fester und rannte los. Um ihn herum prasselten noch immer die Steine. Er sah einen Schatten auf sich zuspringen, holte mit dem Bein aus und trat seinem Gegner, einem der jungen Zimmermannsgesellen, mit voller Wucht ins Gemächt. Der Mann sackte stöhnend zu Boden, als schon ein neuer Angreifer auf Kuisl zustürmte. Die beiden Kleinen in seinen Armen schrien jetzt wie am Spieß, Kuisl umfasste sie, duckte sich und rammte dem Gesellen vor ihm den Schädel in den Bauch. Schnell richtete er sich wieder auf und stürmte weiter, hinter sich hörte er Hans Berchtholdt laut brüllen, als den ­Bäckermeister ein weiterer Stein traf.
    »Das wirst du mir büßen, Kuisl!«, keifte Berchtholdt wie besessen. »Du und deine ganze Sippe! Nur ein Wort zum Rat, und ich knöpf mir deine verfluchten Rotzlöffel vor!«
    Schon nach wenigen Minuten hatte der Henker die Floßlände hinter sich gelassen und die Lechbrücke erreicht, auf der zwei ahnungslose Schongauer Wächter mit Helle­barden standen. Staunend wandten sie sich zu dem Her­anstürmenden um; von dem Kampf hinter dem Zimmerstadel schienen sie bislang nichts bemerkt zu

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