Der Hexer und die Henkerstochter
dem ein prunkvolles Himmelbett, eine mit Rosen und Ornamenten verzierte Truhe und eine Frisierkommode standen; allesamt Möbelstücke, wie sie die vornehmen Frauenzimmer in Augsburg oder München besaßen. Der von Fackelruß und Staub verdreckte, höhlenartige Raum kam Magdalena vor wie die Perversion einer burgfräulichen Kemenate.
Wo um Himmels willen bin ich hier hineingeraten? , dachte sie. In das Schlafzimmer des Automaten? Virgilius muss diese Puppe mehr geliebt haben, als irgendeiner auch nur ahnen konnte!
Hektisch blickte sie sich um. Auf der gegenüberliegenden Seite führte ein zweiter Durchgang in einen weiteren Raum, aus dem nun ganz laut das Weinen und Stöhnen zu hören war.
»Peter! Simon, Paul! Wo seid ihr?«
Mit klopfendem Herzen betrat Magdalena das dahinterliegende Gewölbe – und stieß einen lauten Schrei aus.
Der Raum sah aus, als hätte ihm ein zorniger Beelzebub einen Besuch abgestattet.
Regale waren umgeworfen; rätselhafte Apparate, zerbrochene Hörner, Steine und Knochenteile lagen überall auf dem Boden verteilt. An einigen Stellen leuchteten im Licht der Fackel Spuren grünlichen Phosphors, an manchen Stellen waren sogar ganze Haufen davon zu erkennen. Auf einer Art schwarzen Altar stand der winzige Stumpf einer flackernden Kerze, die tanzende Schatten an die Wand dahinter zauberte.
Doch das alles nahm Magdalena nur am Rande wahr. In der rechten hinteren Ecke kauerte ihr Mann leblos am Boden; der einst so modisch geschnittene Rock in Fetzen zerrissen, das Gesicht leichenblass und verzerrt. Neben ihm stand der kleine Peter, der seiner Mutter nun mit offenen Armen entgegenlief. Seine Kleider waren verdreckt, aber sonst schien er unversehrt.
»O Gott, Peter!«, rief Magdalena und schloss ihren Jungen in die Arme. »Ich … ich hatte solche Angst um euch! Wo ist dein Bruder? Und was hat dieser Verrückte mit eurem Vater angestellt?«
Sie ließ den Buben hinunter und wandte sich Simon zu, der in merkwürdig verrenkter Haltung auf dem nackten Steinboden lag. Sein ganzer Körper zuckte und zitterte, den Kopf hatte er ihr zugewandt. Seine Lippen bildeten mühsam Laute, doch Magdalena konnte ihn nicht verstehen.
»Ääärrze«, murmelte er immer wieder. »Äääärze …«
Sie beugte sich zu ihm hinab und streichelte ihm über die schweißnasse Stirn. Seine Augen rollten wild, und seine Finger spreizten sich wie die Klauen einer Katze, er schien am ganzen Körper gelähmt.
Magdalena musste bei Simons Anblick an einen jungen Schongauer Bauernburschen denken, den ihr Vater vor vielen Jahren kurieren sollte. Der stämmige Kerl hatte sich an einem rostigen Nagel verletzt und war immer mehr in eine merkwürdige Starre verfallen. Am Ende hatte er ausgesehen wie Simon jetzt. Kurz darauf war er unter heftigen Krämpfen gestorben; Magdalenas Vater hatte ihm nicht mehr helfen können. Drohte ihrem Gatten etwa das gleiche Schicksal?
»Mein Gott, Simon!«, flehte sie. »Was hat dieser Wahnsinnige mit dir gemacht? Und wo ist der Paul? Red doch bitte! Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll!«
»Äääärze … Äääärze«, kam es wieder aus Simons Mund. Noch immer hatte Magdalena keine Ahnung, was er damit meinen konnte. Verzweifelt wandte sie sich schließlich an ihren dreijährigen Sohn.
»Peter, weißt du vielleicht, was mit dem Paul ist?«
Der Junge nickte eifrig. »Paul spielt mit Matthias«, erklärte er fröhlich.
»Mit dem … Matthias?« Magdalena blieb vor Entsetzen der Mund offen stehen. »Aber … aber, das heißt ja …«
»Matthias und der Paul sind mit dem bösen Mann mitgegangen!«, krähte der Dreijährige. »Der Mann hat gesagt, ich muss hier auf Papa aufpassen.«
»Das … das ist gut«, stammelte Magdalena. »Bist ein braver Bub, ein … wirklich braver Bub.«
Magdalenas Gedanken überschlugen sich. Noch immer konnte sie nicht glauben, was sie gerade gehört hatte. Konnte es wirklich sein, dass der gutmütige Matthias, der Mann, dem sie so oft ihre Kinder anvertraut hatte, mit Virgilius unter einer Decke steckte? Dass er dessen Helfer war?
»Weißt du denn, wohin der Paul mit dem … mit dem Matthias gegangen ist?«, fragte sie leise.
»Der böse Mann hat gesagt, er zeigt ihnen beiden den Garten!«, frohlockte Peter, dessen Angst seit der Ankunft seiner Mutter wie weggeblasen war. »Ich will auch wieder in den Garten! Ich will mit der Puppe spielen!«
»Wir … wir gehen in den Garten. Das verspreche ich dir. Aber zuerst müssen wir hier raus, verstehst
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